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Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Titel: Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malala Yousafzai
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außerhalb unseres Tals zu verständigen wusste. Jeden Tag war er deshalb für den Ältestenrat des Swat unterwegs. Er sprach an Schulen oder trat in den Medien auf und forderte Fazlullah heraus: »Was treibt ihr da eigentlich?«, fragte er. »Ihr setzt unser Leben, unsere Kultur, unsere Werte aufs Spiel.«
    Mein Vater meinte zu mir: »Ich werde mich jeder Vereinigung anschließen, die für den Frieden eintritt. Wenn man einen Streit schlichten oder einen Konflikt lösen will, ist es das Wichtigste, die Wahrheit zu sagen. Wenn man Kopfschmerzen hat und geht zum Arzt und sagt, man hätte Bauchweh, wie kann er da helfen? Du musst die Wahrheit sagen. Die Wahrheit besiegt die Angst.«
    Wenn er sich mit Mitaktivisten traf, vor allem mit seinen alten Freunden Ahmad Shah, Mohammad Farooq und Zahid Khan, begleitete ich ihn häufig. Ahmad Shah betrieb ebenfalls eine Schule, in der Mohammad Farooq arbeitete. Manchmal trafen sie sich auf dem sehr grünen Schulhof von Ahmad Shah. Zahid Khan wiederum besaß ein Hotel und damit ein großes Gästehaus, in dem die Menschen sich versammeln konnten. Wenn sie sich bei uns trafen, brachte ich ihnen Tee und hörte zu, was sie sagten. »Malala ist nicht nur das Kind Ziauddins«, sagten sie dann immer. »Sie ist unser aller Tochter.«
    Immer wieder reisten sie nach Peshawar und Islamabad, wo sie Interviews im Radio gaben, vor allem bei Voice of America ( VOA , dem staatlichen Auslandssender der USA ) und der BBC . Sie wechselten sich ab, so dass immer einer von ihnen Zeit hatte. Sie machten den Menschen klar, dass das, was im Swat passierte, nichts mit dem Islam zu tun hatte. Mein Vater meinte, die Taliban könnten sich im Swat nur halten mit der Unterstützung der Armee und der Behörden. Der Staat sollte eigentlich die Rechte seiner Bürger schützen, doch wenn der Staat nicht mehr vom Nicht-Staat zu unterscheiden ist und man sich nicht mehr darauf verlassen kann, dass der Staat uns vor dem Nicht-Staat schützt, dann ist die Situation wirklich schwierig.
    Militär und Geheimdienst sind bei uns sehr mächtig. Die meisten Menschen waren deshalb dagegen, dass solche Dinge öffentlich diskutiert wurden. Doch mein Vater und der Großteil seiner Freunde hatten keine Furcht. »Was ihr tut, richtet sich gegen unser Volk und gegen Pakistan«, sagte er. »Hört auf, die Taliban zu fördern. Sie sind unmenschlich. Es heißt, wir müssten das Swat-Tal für Pakistan opfern, doch nichts und niemand sollte für den Staat geopfert werden. Der Staat ist wie eine Mutter, die ihre Kinder nie verlässt.«
    Er fand es schrecklich, dass niemand den Mund aufmachte. Eines Tages las er mir eine Passage aus einem Buch vor, das er immer bei sich hatte. Es war von einem Mann namens Martin Niemöller, der in Nazi-Deutschland gelebt hatte. Da hieß es:
    »Zuerst kamen sie und holten die Kommunisten.
    Ich sagte nichts, weil ich kein Kommunist war.
    Dann kamen sie und holten die Sozialisten.
    Ich sagte nichts, weil ich kein Sozialist war.
    Dann holten sie die Gewerkschaftler, und ich sagte nichts,
    weil ich kein Gewerkschaftler war.
    Dann holten sie die Juden.
    Und ich sagte nichts, weil ich kein Jude war.
    Dann holten sie die Katholiken.
    Und ich sagte nichts, weil ich kein Katholik war.
    Schließlich kamen sie und holten mich.
    Doch es war niemand mehr da,
    der für mich hätte eintreten können.«
    Ich wusste, dass der deutsche Theologe und Widerstandskämpfer recht hatte. Wenn die Menschen sich nicht wehrten, würde sich nichts ändern.
    In der Schule organisierte mein Vater einen Friedensmarsch und ermutigte uns, offen zu protestieren gegen das, was hier ablief. Moniba drückte am besten aus, was wir dachten: »Wir Paschtunen sind religiöse Menschen. Nur wegen der Taliban denkt jetzt die ganze Welt, wir seien Terroristen. Das stimmt nicht. Wir sind friedliebende Leute. Unsere Berge, unsere Bäume, unsere Blumen – alles in diesem Tal spricht vom Frieden.«
    Ein paar von uns Mädchen gaben Interviews auf ATV Khyber, dem einzigen privaten Fernsehkanal, der in Paschtu sendete. Wir sprachen darüber, dass Mädchen nicht von der Schule abgehen sollten, weil die Taliban sie dazu drängten. Die Lehrer halfen uns, unsere Antworten vorzubereiten. Ich war keineswegs die Einzige, die interviewt werden sollte. Mit elf, zwölf Jahren taten wir das immer zusammen. Doch sobald wir 13 oder 14 wurden, verboten Brüder und Väter meinen Freundinnen, weiter im Fernsehen ihre Ansichten zu vertreten, weil sie Angst vor Repressionen

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