Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
eroberte sie das Tal schnell zurück. Sie nahm Iman Deri ein, das Hauptquartier Fazlullahs. Die Kämpfer flohen in die Wälder. Anfang Dezember ließ die Armee verlautbaren, dass man die meisten Gebiete gesäubert habe. Fazlullah zog sich in die Berge zurück.
Aber sie hatten die Taliban nicht vertrieben. »Das hält bestimmt nicht lange«, prophezeite mein Vater.
Und Fazlullahs Gruppierung war nicht die einzige, die Schaden anrichtete. Im gesamten Nordwesten Pakistans hatten sich mehrere militante Organisationen zusammengeschlossen, an ihrer Spitze die Führer verschiedener Stämme.
Etwa eine Woche nach der Schlacht ums Swat-Tal versammelten sich 40 Taliban-Führer im Süden Waziristans und erklärten Pakistan den Krieg. Sie gründeten eine gemeinsame Aktionsfront unter der Bezeichnung TTP – Tehrik-e Taliban Pakistan – und verkündeten, über 40000 Kämpfer unter ihrem Kommando zu haben. Zu ihrem Anführer wählten sie Baitullah Mehsud, der zu diesem Zeitpunkt Ende dreißig war und mit Dschalaluddin Haqqani in Afghanistan gekämpft hatte. Fazlullah wurde Oberbefehlshaber über den Sektor Swat.
Das Ganze wuchs sich zum Alptraum aus. Als die Armee ins Swat-Tal kam, hatten alle geglaubt, die Kämpfe würden nur von kurzer Dauer sein. Doch wir hatten uns getäuscht. Es wurde alles noch schlimmer. Die Taliban griffen nicht nur Politiker, Abgeordnete und die Polizei an, sondern auch jede Frau, die nicht das Purdah-Gesetz befolgte, das zur Verschleierung anhielt, jeden Mann, dessen Bart zu kurz war oder der nicht die traditionelle Kleidung trug.
Am 27 . Dezember 2007 hielt Benazir Bhutto eine Wahlversammlung in Liaquat Bagh ab, dem Park in Rawalpindi, in dem unser erster Premierminister Liaquat Ali Khan ermordet worden war. Sie erklärte unter lautem Jubel: »Wir werden mit der Macht des Volkes die extremistischen Kräfte besiegen.«
Als ihr kugelsicherer Toyota Land Cruiser den Park verließ, stand sie auf, um ihren Anhängern zuzuwinken. Plötzlich gab es Gewehrfeuer zu hören und eine Explosion. Ein Selbstmordattentäter hatte sich neben ihrem Wagen in die Luft gesprengt. Benazir glitt zurück. Musharrafs Regierung ließ später verlautbaren, ihr Kopf sei gegen die Verstrebung des Geländewagens geprallt. Doch es gab auch Stimmen, die behaupteten, sie sei erschossen worden.
Wir saßen vor dem Fernseher, als die Nachricht kam. Meine Großmutter meinte: »Benazir wird als Märtyrerin sterben, sie ist
shaheed .
« Damit meinte sie, dass ihr Tod ein ehrenwerter gewesen war. Wir brachen in Tränen aus und fingen an, für sie zu beten. Als verkündet wurde, dass die Politikerin an ihren Verletzungen gestorben sei, sagte mein Herz: »Warum kämpfst du nicht für die Rechte der Frauen?« Wir hatten die Demokratie gewollt, doch ich fragte mich: »Wenn Benazir sterben kann, ist niemand mehr sicher?« Es fühlte sich an, als habe mein Land alle Hoffnung verloren.
Musharraf gab dem TTP -Führer Baitullah Mehsud die Schuld an Benazirs Tod. Er ließ ein abgehörtes Telefonat veröffentlichen, in dem es um den Anschlag ging. Angeblich waren Baitullah Mesud und ein anderer Kämpfer an diesem Gespräch beteiligt. Doch Baitullah lehnte die Verantwortung für den Anschlag ab, was für die Taliban ungewöhnlich ist.
Wir hatten Unterricht im Islam bei den sogenannten Qari Sahibs. Sie kamen in unser Haus, um mir und anderen Jugendlichen den Koran zu erklären. Als die Taliban an Macht gewannen, hatte ich die Khatam-ul-Quran, das Studium des Korans, von der ersten bis zur letzten Silbe, schon gemeistert. Sehr zur Freude meines Großvaters übrigens, der ja Religionsgelehrter war. Wir rezitieren den Koran auf Arabisch, und viele Menschen wissen nicht, was die Verse bedeuten, doch ich hatte angefangen, sie in der Übersetzung zu studieren.
Zu meinem Entsetzen versuchte einer der Qari-Sahibs, die Ermordung Benazirs zu rechtfertigen: »Das haben sie gut gemacht«, sagte er. »Sie war nutzlos, als sie noch am Leben war. Sie hat die Vorschriften des Islam nicht korrekt befolgt. Hätte sie unter uns gelebt, wäre ein Chaos ausgebrochen.«
Ich war vollkommen schockiert und erzählte meinem Vater davon. »Wir haben keine Wahl«, sagte er. »Wir sind auf diese Mullahs angewiesen, um den Koran zu lernen. Doch du darfst nur die wörtliche Bedeutung der Suren von ihm übernehmen, auf seine Erklärungen hörst du besser nicht. Am besten, du lernst nur das, was Gott sagt. Die Worte, die du im Koran vorfindest, sind die göttliche
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