Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
Trotzdem sendete Fazlullah Tag für Tag über Radio seine Botschaften. 2008 verschlechterte sich die Lage weiter, und es kam zu Bombenangriffen, bei denen Menschen getötet wurden. Die Regierung tat nichts.
Mein Vater und die Ältesten des Swat-Tals.
Wir redeten nur noch über die Armee und die Taliban, darüber, wie es war, dazwischenzustehen. Atiya zog mich regelmäßig auf. Sie sagte, die Taliban seien gut, die Armee jedoch nicht. Ich antwortete: »Wenn eine Schlange und ein Löwe uns angreifen, wer ist dann besser, die Schlange oder der Löwe?«
Doch unsere Schule schien vorerst ein sicherer Hort vor den Schrecken der Außenwelt zu sein. Immer mehr wurde ich darin bestärkt, nicht wie die anderen Mädchen in meiner Klasse Ärztin zu werden, sondern Erfinderin. Ich wollte Wege finden, um die Taliban zu stoppen. Ich wollte eine Anti-Taliban-Maschine bauen, die sie aufspürte und ihre Waffen zerstörte.
Natürlich waren wir aber auch in der Schule in Gefahr, und einige meiner Freundinnen gaben auf. Fazlullah verbreitete nämlich weiterhin unermüdlich, dass Mädchen zu Hause bleiben sollten. Und seine Männer hatten angefangen, Schulen in die Luft zu sprengen, gewöhnlich nachts, wenn aufgrund der Ausgangssperre keine Kinder in ihnen waren.
Die erste Schule, die zerstört wurde, war die staatliche Shawar-Zangay-Mädchengrundschule in Matta. Wir konnten es einfach nicht fassen, dass jemand so etwas machte. Dann aber folgte ein Bombenanschlag nach dem anderen. Fast jeden Tag fanden solche Aktionen statt.
Sogar in Mingora waren wir vor Bombenanschlägen nicht mehr sicher. Zweimal gab es Explosionen, während ich in der Küche war, so nahe bei uns, dass das ganze Haus wackelte und der Ventilator über dem Fenster herunterfiel. Von da an hatte ich Angst, in die Küche zu gehen. Ich lief nur noch ganz schnell hinein und gleich wieder heraus.
Hier halte ich eine Rede zu Ehren der Menschen, die bei dem Selbstmordanschlag auf die Haji-Baba-Schule starben.
Am letzten Februartag 2008 war ich wieder in der Küche, als ein gewaltiger Knall zu hören war. Es war ohrenbetäubend laut und offensichtlich ganz dicht bei uns. Wie immer in unserer Familie riefen wir uns gegenseitig, damit wir wussten, ob auch alle unversehrt waren. »Khaista, Pisho, Bhabi, Khushal, Atal!« Dann hörten wir Sirenen, eine nach der anderen, als führen sämtliche Krankenwagen in Mingora bei uns vorbei. Es hatte einen Selbstmordanschlag in der Basketballhalle der Haji-Baba-Oberschule gegeben. Dort sollte eine Trauerveranstaltung für einen beliebten örtlichen Polizeioffizier namens Jayed Iqbal stattfinden, der andernorts bei einem Selbstmordattentat getötet worden war. Er war aus Mingora, und so hatte man seinen Leichnam zurückgebracht, damit er hier bestattet werden konnte. Nun hatten die Taliban die Trauergemeinde attackiert. Mehr als 55 Menschen starben dabei, darunter auch Jayed Iqbals kleiner Sohn und viele Menschen, die wir kannten. Von Monibas Familie waren zehn Mitglieder dort, und sie alle wurden entweder getötet oder verletzt. Moniba war am Boden zerstörte. Die ganze Stadt stand unter Schock, in jeder Moschee gab es Trauerfeiern.
»Hast du Angst?«, fragte ich meinen Vater.
»In der Nacht ist die Angst stark,
Jani
«, antwortete er. »Aber am Morgen, wenn das Licht kommt, kehrt auch unser Mut wieder.« Das stimmte. Wir hatten Angst, aber unsere Angst war nicht so stark wie unser Mut. Mein Vater fügte noch hinzu: »Wir müssen unser Tal von den Taliban befreien, dann muss keiner mehr Angst haben.«
In Krisenzeiten kehren Paschtunen zu ihren bewährten Ritualen zurück, und so beriefen die Dorfältesten im Swat eine Versammlung ein, die Quami Jirga. Sie sollte Fazlullah den Wind aus den Segeln nehmen. Drei Männer aus der Region – Mukhtar Khan Yousafzai, Khurshid Kakajee und Zahid Khan – gingen von Gästehaus zu Gästehaus, um die Ältesten zu überzeugen, an der Versammlung teilzunehmen. Der Älteste von ihnen war ein weißbärtiger Mann von 74 Jahren namens Abdul Khan Khaliq. Er war einer der Leibwächter gewesen, als die Königin von England das Swat-Tal besucht hatte, um sich mit unserem
Wali
zu treffen. Obwohl mein Vater kein Ältester und kein Khan war, wurde er zum Sprecher bestimmt, weil er keine Angst hatte zu sagen, was er dachte. Auf Paschtu formulierte er poetische Dinge, aber er beherrschte unsere Landessprache Urdu ebenso gut wie das Englische. Das bedeutete, dass er sich sowohl mit den Menschen im Swat als auch
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