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Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...

Titel: Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malala Yousafzai
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Schule ist unser stiller Protest«, meinte sie.
    Darüber schrieb ich nichts in mein Tagebuch. Wären wir erwischt worden, wären wir ausgepeitscht oder sogar abgeschlachtet worden wie Shabana. Manche Menschen haben Angst vor Gespenstern, andere vor Spinnen oder Schlangen – wir hatten in jenen Tagen Angst vor unseren Mitmenschen.
    Auf dem Weg zur Schule begegnete ich zuweilen den Taliban mit ihren Wollkappen und langen schmutzigen Haaren, mit bloßen Fußknöcheln, da die Hosen oberhalb der Turnschuhe aufzuhören hatten. Ihre Gesichter waren meistens verhüllt. Sie sahen sehr abstoßend aus, furchterregend. Die Straßen von Mingora waren jetzt ziemlich leer, da ein Drittel der Bewohner das Tal verlassen hatte.
    Mein Vater meinte, es sei den Menschen wirklich nicht zu verübeln, wenn sie fortgingen, die Regierung sei zu machtlos. Es waren noch 12000  Armeesoldaten im Swat-Tal – viermal so viele wie geschätzte Taliban –, dazu Panzer, Hubschrauber und moderne Waffensysteme. Dennoch kontrollierten die Taliban ungefähr 70  Prozent des Swat.
    Etwa eine Woche nachdem die Schule wieder angefangen hatte, am 16 . Februar 2009 , wurden wir eines Nachts von Schüssen geweckt. Unser Volk pflegt Geburten und Hochzeiten mit Gewehrschüssen zu feiern, aber auch das hatte während des Bürgerkriegs aufgehört. Daher dachten wir zuerst an Gefahr. Dann aber bekamen wir mit, worum es ging. Die Leute feierten ein Friedensabkommen, das zwischen den Taliban und der Bezirksregierung geschlossen worden war, die mittlerweile fest in der Hand der ANP war und nicht der Mullahs. Man wollte im ganzen Swat-Tal die Scharia einführen, und die Extremisten würden im Gegenzug die Kämpfe einstellen. Die Taliban sagten einen zehntägigen Waffenstillstand zu und ließen als Friedensgeste einen chinesischen Telefontechniker frei, den sie vor sechs Monaten gekidnappt hatten.
    Auch wir freuten uns. Mein Vater und ich hatten uns oft genug für den Frieden engagiert – aber wir glaubten nicht, dass das Ganze funktionieren würde. Die Menschen hofften, die Taliban würden Ruhe geben, die besetzten Häuser verlassen und als friedliche Bürger leben. Sie redeten sich ein, dass die Scharia im Swat anders sein würde als die in Afghanistan. Wir würden unsere Mädchenschulen behalten können, und es würde keine Sittenpolizei mehr geben. Das Swat wäre eben das Swat, nur mit einem anderen Justizsystem. Ich hätte das auch gern geglaubt, doch ich war irgendwie beunruhigt. Wie das System funktionierte, hing doch letztlich davon ab, wer darüber wachte. Und waren das nicht die Taliban?
    Es war kaum zu glauben, dass endlich alles vorbei sein sollte. Mehr als 1000 Zivilisten und Polizisten waren getötet worden, Frauen zur Einhaltung strenger Purdah-Regeln gezwungen, Schulen und Brücken in die Luft gesprengt worden. Tausende Geschäfte hatten geschlossen. Wir hatten unter einer barbarischen öffentlichen Gerichtsbarkeit und Gewaltjustiz gelitten und in ständiger Angst gelebt. Doch jetzt sollte das alles zu Ende sein.
    Beim Frühstück legte ich meinen Brüdern nahe, fortan von Frieden zu sprechen statt von Krieg. Wie immer hörten sie nicht auf mich und spielten weiter Krieg. Khushal hatte einen Spielzeughubschrauber und Atal eine Pistole aus Pappe, und der eine rief »Feuer!« und der andere »Stellung beziehen!«
    Aber was kümmerte mich das! Ich ging sofort meine Uniform inspizieren, froh, sie bald wieder in der Öffentlichkeit tragen zu können. Von unserer Rektorin kam die Nachricht, dass die Prüfungen in der ersten Märzwoche stattfinden würden. Es wurde Zeit, mich wieder ans Lernen zu machen.
    Unsere Hochstimmung hielt nicht lange an. Nur zwei Tage später stand ich auf dem Dach des Taj Mahal Hotels und gab ein Interview. Ein renommierter Journalist namens Hamid Mir stellte mir Fragen zum Friedensschluss. Da hörten wir, dass ein anderer Fernsehjournalist, den wir kannten, ermordet worden war. Sein Name war Musa Khan Khel, und er hatte oft meinen Vater befragt. An jenem Tag berichtete er über einen von Sufi Muhammad angeführten Friedensmarsch. Es war eigentlich kein Marsch, sondern eher eine Art Autokolonne. Danach wurde Musa Khans Leiche gefunden. Man hatte mehrmals auf ihn geschossen und ihm die halbe Kehle aufgeschlitzt. Er war nur 28 Jahre alt geworden.
    Als wir ihr von seiner Ermordung erzählten, war meine Mutter so verstört, dass sie unter Tränen ins Bett ging. Dass die Gewalt so bald nach dem Friedensabkommen ins Tal

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