Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
Vater, dass dieser Film ein Sprachrohr war, durch das wir der Außenwelt unseren Standpunkt kundtun konnten. Jener Freund, der ihn zu der Dokumentation überredet hatte, sagte, damit würde er weit mehr Menschen erreichen als mit seinen bisherigen Aktivitäten.
Mehrere Fernsehinterviews hatte ich bereits gegeben; ich sprach so gern ins Mikrofon, dass meine Freundinnen mich schon aufzogen. Doch noch nie hatte ich bei einem solchen Bericht mitgemacht. »Sei ganz natürlich«, sagte Irfan zu mir. Das war aber gar nicht so einfach, wenn man die ganze Zeit von einer Kamera verfolgt wurde, sogar beim Zähneputzen. Ich zeigte ihnen meine Schuluniform, die ich nicht tragen konnte, und erzählte ihnen von meiner Angst, Säure ins Gesicht geschüttet zu bekommen, sollten die Taliban mich dabei erwischen, wie ich zur Schule ging. Bei afghanischen Mädchen hatten sie das getan.
An diesem letzten Vormittag fand bei uns in der Khushal eine besondere Versammlung statt, doch wegen der Hubschrauber über unseren Köpfen war kaum etwas zu verstehen. Manche von uns hielten eine kleine Rede über das, was in unserem Tal passierte. Dann läutete die Schulglocke zum allerletzten Mal, und Madam Maryam verkündete den Beginn der Winterferien. Doch anders als in den vergangenen Jahren nannte niemand ein Datum für den ersten Schultag nach den Ferien, obgleich manche Lehrer uns sogar mit Hausaufgaben versorgten. Auf dem Schulhof umarmte ich alle meine Freundinnen. Ich betrachtete die Ehrentafel und fragte mich, ob mein Name je wieder dort erscheinen würde. Im März standen die Prüfungen an, aber wie sollte das jetzt überhaupt gehen?
Die Beste zu sein spielte letztlich keine Rolle, wenn man nicht lernen konnte. Erst wenn dir jemand deine Stifte wegnimmt, merkst du, wie wichtig Schulbildung ist.
Ehe ich das Tor zur Khushal hinter mir zuzog, sah ich zu meiner Schule zurück, als sähe ich sie zum allerletzten Mal. Das ist auch die finale Einstellung in diesem Teil der Dokumentation. In Wirklichkeit ging ich noch einmal hinein. Meine Freundinnen und ich wollten nicht, dass dieser 14 . Januar endete. Wir hatten beschlossen, noch ein bisschen auf dem Schulgelände zu verweilen. Wir gingen hinüber zur Grundschule, weil dort mehr Platz zum Rennen war. Erst spielten wir wieder einmal »Räuber und Gendarm«, danach »Mango, Mango«: Dazu bildeten wir einen Kreis und sangen ein Lied. Hörte dieses auf, mussten alle starr stehen bleiben und durften keinen Mucks mehr von sich geben. Wer sich bewegte oder lachte, wurde aus dem Kreis hinausgeschmissen.
An jenem Tag kamen wir spät von der Schule nach Hause. Normalerweise fahren wir um ein Uhr mittags los, doch an dem Tag blieben wir bis um drei Uhr nachmittags. Bevor wir losgingen, stritten Moniba und ich uns über etwas so Unwichtiges, dass ich mich schon wenig später nicht einmal daran erinnern konnte. Unsere Freundinnen konnten es nicht fassen: »Ihr zwei steht hier und fetzt euch, sogar an so einem Tag wie heute!« Es war kein schöner Abschied.
Den Machern unseres Dokumentarfilms aber sagte ich: »Sie können mich nicht aufhalten. Ich werde meine Bildung bekommen, sei es zu Hause, in der Schule oder sonst wo. Dies ist unsere Forderung an die Welt – unsere Schulen zu retten, unser Pakistan zu retten, unser Swat zu retten.«
Als ich wieder zu Hause war, weinte ich bitterlich. Ich wollte nicht mit dem Lernen aufhören. Ich war schließlich erst elf Jahre alt.
Es war ein Gefühl, als hätte ich alles verloren. Allen in meiner Klasse hatte ich erzählt, dass die Taliban ihre Drohungen nicht wahrmachen würden – die Menschen reden und reden, und dann tun sie doch nichts, hatte ich gesagt. Aber dann hatten sie ihren Erlass doch in die Tat umgesetzt. Sie hatten unsere Schule geschlossen. Und nun schämte ich mich, so sehr, dass ich mich nicht mehr zusammenreißen konnte. Ich weinte, und meine Mutter weinte auch, nur mein Vater sagte beharrlich: »Du wirst wieder zur Schule gehen.«
Für ihn war die Schließung der Schulen, die er seit 14 Jahren aufgebaut hatte, auch ein finanzieller Verlust. Die Jungenschule sollte nach den Winterferien zwar wieder ihre Tore öffnen, doch nicht die Mädchenschule. Das bedeutete einen tiefen Einschnitt für unsere Einkünfte. Dazu kam, dass mehr als die Hälfte der Schulgebühren überfällig war, und er hatte den letzten Tag damit verbracht, Geld einzutreiben, um die Miete, die Stromrechnung und die Lehrergehälter zu bezahlen.
In jener Nacht war immer
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