Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
wieder Artilleriefeuer zu hören, und ich wachte dreimal auf. Als ich am nächsten Morgen erst um zehn Uhr meine Augen aufschlug, hatte sich alles verändert. Ich überlegte, ob ich vielleicht nach Peshawar oder ins Ausland gehen oder ob ich unsere Lehrer bitten sollte, bei uns zu Hause eine geheime Schule zu gründen, so wie es vielfach unter den Taliban in Afghanistan gemacht wurde. Danach gab ich vielen Radio- und Fernsehsendern Interviews. »Sie können uns davon abhalten, zur Schule zu gehen, aber sie können uns nicht davon abhalten, zu lernen«, sagte ich. Ich war nach außen hin voller Hoffnung, doch tief in meinem Herzen war mir bange. Mein Vater und ich fuhren nach Peshawar und suchten mehrere Menschen auf, um wieder einmal über die Geschehnisse im Swat zu berichten. Ich sprach davon, dass die Taliban zwar weibliche Lehrer und Ärzte wollten, den Mädchen aber nicht erlaubten, zur Schule zu gehen, um sich für diese Berufe zu qualifizieren.
Muslim Khan hatte einmal gesagt, Mädchen sollten nicht zur Schule gehen, das Lernen würde dort auf westliche Art stattfinden. Er bestand darauf, ein eigenes Bildungssystem einzuführen. Und das wurde von einem Mann geäußert, der so lange in Amerika gelebt hatte! »Was würde Muslim Khan anstelle von Stethoskop und Fieberthermometer verwenden?«, fragte mein Vater. »Welche islamischen Instrumente gibt es, um Kranken zu helfen?«
Die Taliban sind gegen Bildung, weil sie glauben, ein Kind, das Bücher liest oder Englisch lernt oder sich mit Naturwissenschaften auseinandersetzt, würde verwestlicht werden. Ich hielt dagegen: »Bildung ist Bildung. Wir sollten alles lernen und dann selbst entscheiden, welchen Weg wir einschlagen wollen.« Bildung ist weder islamisch noch westlich, Bildung ist menschlich.
Meine Mutter bat mich, bei meinen Medienauftritten mein Gesicht zu verschleiern, weil ich in meinem Alter schon die Purdah-Regeln befolgen sollte. Sie hatte große Angst um meine Sicherheit. Doch sie bestrafte mich nicht, wenn ich tat, was ich für richtig hielt. Es war eine Zeit des Schreckens, der Furcht und des Terrors, aber die Menschen sagten oft, was auch ich schon gedacht hatte: Die Taliban würden vielleicht meinen Vater töten, aber nicht mich. »Malala ist noch ein Kind«, erklärten sie. »Selbst die Taliban töten keine Kinder.«
Meine Großmutter war sich da nicht so sicher. Trat ich im Fernsehen auf oder verließ ich das Haus, sprach meine Großmutter ein Gebet: »Bitte, Gott, mach, dass Malala wie Benazir Bhutto wird, aber gib ihr nicht Benazirs kurzes Leben.«
Den Blog führte ich auch nach Schließung der Khushal fort. Vier Tage nach dem Verbot der Mädchenschulen wurden fünf weitere Schulgebäude in Mingora und Umgebung zerstört. »Ich muss mich schon wundern«, schrieb ich, »diese Schulen sind doch geschlossen worden, wieso musste man sie auch noch zerstören? Niemand ist mehr hingegangen; alle haben sich an den Befehl der Taliban gehalten. Die Armee unternimmt nichts. Die Soldaten sitzen oben in den Hügeln in ihren Bunkern. Sie schlachten Ziegen und lassen sich’s schmecken.«
Außerdem äußerte ich mich über die Leute, die zu den auf Mullah FM verkündeten Auspeitschungen gingen, und über die Tatsache, dass sich die Polizei nie blicken ließ.
Eines Tages erhielten wir einen Anruf aus Amerika, von einer Studentin der Stanford University. Ihr Name war Shiza Shahid, sie stammte aus Islamabad. Sie hatte den Film der
New York Times
gesehen und uns aufgespürt. Da erkannten wir, welche Macht die Medien hatten. Shiza war uns eine große Unterstützung. Mein Vater war so stolz auf mich, wie ich im Dokumentarfilm herüberkam. »Schau sie dir nur an«, sagte er zu Adam Ellick. »Findest du nicht, sie ist für den Himmel geboren?« Väter können wirklich peinlich sein.
Adam nahm uns mit nach Islamabad. Es war mein allererster Besuch dort. Islamabad ist eine ansehnliche Stadt mit hübschen weißen Bungalows und breiten Straßen, auch wenn ihr die natürliche Schönheit des Swat fehlt. Wir schauten uns die Rote Moschee an, wo die Belagerung stattgefunden hatte, und die sehr, sehr breite Constitution Avenue, die auf die mit Säulen verzierten Parlaments- und Präsidentschaftsgebäude zuführt, in denen nun Zardari residierte. General Musharraf war im Exil in London.
Wir gingen in Buchhandlungen, die Schulbücher verkauften. Adam schenkte mir DVD s von amerikanischen Fernsehserien wie
Alles Betty!.
Darin ging es um ein Mädchen mit einer
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