Ich bin unschuldig
sechs Monaten habe sie sich auch teurer gekleidet. Können Sie ihn fragen, ob er das erklären kann?«
Christa und Tolek unterhalten sich kurz auf Polnisch.
»Diese Arbeit«, sagt sie und zeigt mit dem Kinn auf das weiß verputzte Haus, »gutes Geld für Tolek. Er arbeitet viele Stunden.«
Tolek wirft das Apfelgehäuse den Tauben hin, die aufflattern und sich wieder niederlassen. Er wendet von Neuem den Blick ab und sieht den Autos hinterher, die die Trinity Road hinunterfahren. Aus irgendeinem Grund werde ich an den Mann erinnert, der mich von einem Balkon in Christas Haus beobachtet hat. Vielleicht war er das ja.
»Sagen Sie ihm, wie leid es uns tut«, sage ich schnell, »dass uns sein Verlust sehr leidtut.«
Sie übersetzt, und Tolek sieht mich ungerührt an, zum ersten Mal. Seine hellblauen Augen sind rot gerändert, als wäre er sehr müde oder hätte geweint. Tiefe Furchen haben sich in seine Mundwinkel gegraben. Ich betrachte seine Hände und Arme, über die sich violette Adern ziehen. Ich versuche sie mir um Ania Dudeks blassen Hals vorzustellen.
Er sagt etwas auf Polnisch.
»Danke«, übersetzt Christa.
»Kennt er jemanden, der Ania etwas zuleide tun wollte?«, frage ich. »Hatte sie Streit mit jemandem, einem Freund oder … einem Ex …?«
»Oder wäre es möglich, dass sie einen anderen hatte«, wirft Jack ein, »als er in Polen war oder nachdem er …?«
Christa schürzt die Lippen. An ihrem Kiefer zuckt ein Muskel. Sie sagt etwas auf Polnisch, und Tolek macht eine Armbewegung – wie ein Schüler, der im Unterricht eine Frage beantworten will und es sich dann plötzlich anders überlegt. Er steht auf und knüllt die Papiertüte zusammen. Eine Minute denke ich, er würde einem von uns die Red-Bull-Dose ins Gesicht kicken. Ein Schwall von Worten ergießt sich über seine Lippen. Schimpfworte?
Jack erhebt sich ebenfalls. Die beiden Männer stehen einander gegenüber. Tolek ist schmächtiger, doch so, wie er das Kinn vorschiebt, möchte man es sich nicht mit ihm verderben. Er hebt wieder die Hand, fährt damit durch die Luft wie mit einem Messer. Jack zieht sich ein wenig zurück, und Tolek bedenkt ihn mit einem finsteren Blick und stapft zum Haus zurück. Jack läuft hinter ihm her. Nachdem die beiden fort sind, schneide ich Christa ein Gesicht, ziehe die Mundwinkel nach unten.
»Tolek ist ein guter Mann, aber traurig«, sagt sie. »Er muss zurück nach Polen, um bei seiner Familie zu sein und bei Anias. Es wäre besser für ihn.« Sie steht auf. »Und jetzt muss ich fahren. Ich komme zu spät zur Arbeit.«
Ich hebe die Red-Bull-Dose auf und zerdrücke sie. »Vielen Dank, dass Sie hergekommen sind«, sage ich rasch. »Ich weiß das sehr zu schätzen. Ich will nicht, dass Sie denken … Christa?« Sie sieht mich an. »Ich tue das für Ania, das wissen Sie, oder? Aus keinem anderen Grund.«
Sie nickt und sieht mich an, als wollte sie etwas sagen. Doch dann ruft Jack von der anderen Straßenseite: »Tolek!«
Christa macht sich auf den Weg zu ihrem Auto.
Ich laufe hinter ihr her. »Wissen Sie etwas, Christa?«, frage ich, als ich sie eingeholt habe. »Gibt es da etwas, was Sie uns nicht sagen?«
Sie ist an ihrem Auto angekommen, hat den Schlüssel in der Hand und fummelt an der Tür herum. Ihre Hand zittert leicht. »Nein.«
»Bitte. Ich flehe Sie an. Denken Sie an Ania. An das Baby.«
Sie wendet sich mit dunklen Augen um. »Ich denke an Ania. Und an das arme Baby. Wegen Ania und dem Baby …«
»Hatte sie einen anderen? Allmählich sieht es danach aus. Und ich glaube, das Kind war nicht von Tolek. Habe ich recht, Christa? Schützen Sie jemanden?«
Sie lehnt sich Halt suchend an den Wagen.
»Die Polizei wird die Wahrheit herausfinden«, sage ich.
»Ich will nicht mit der Polizei sprechen«, erwidert sie.
»Ich kann Sie vor ihr schützen. Wenn Sie es mir sagen.«
Sie sieht mich nachdenklich an. »Ich habe es Ania versprochen.« Sie atmet tief durch.
»Was haben Sie ihr versprochen?«
»Ich bin es ihr und ihren Eltern schuldig. Sie trauern. Sie lieben Tolek …«
»Dann hatte sie also einen anderen.«
Langes Schweigen.
»Bitte, Christa.«
Und dann nickt sie. Nur ganz leicht, aber sie nickt.
»Wer ist er, der andere Mann? Wen schützen Sie?«
»Ich schütze niemanden. Ich …« Sie schüttelt gereizt den Kopf, als hätte sie genug. »Ich habe ihn nie gesehen. Er war Brite, ein netter Mann, hat Ania gesagt. Aber er hat sie nicht umgebracht, das weiß ich, sonst hätte ich es
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