Ich bin unschuldig
wissen wir nicht. Ich habe Mühe, das alles zu begreifen. Er kann Anias Geliebter gewesen sein, ohne sie umgebracht zu haben. Ich meine, das ist doch möglich, oder? Ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Es ist unmöglich. Ich kenne Philip besser als mich selbst. Er ist kein Mörder.«
»Wenn er also nur ihr Geliebter war …«
»›Nur‹ ihr Geliebter.« Ich muss wieder lachen. Nicht mein bestes Lachen.
»Wenn er ›nur‹ ihr Geliebter war, warum ist er dann nicht damit rausgerückt, als Sie festgenommen wurden, Gaby? Ein Unschuldiger hätte das getan. Es tut mir leid, das gefällt mir nicht. Ich komme jetzt zu Ihnen.«
»Ich kann einfach nicht glauben, dass er sie umgebracht hat. Warum?«
»Vielleicht hat sie gedroht, es Ihnen zu sagen.«
»Sein Alibi. Er hat ein Alibi.«
»Alibi hin oder her, natürlich hat er sie umgebracht. Es ist die naheliegendste Erklärung. Ich meine, wie bombensicher ist ein Alibi, das eine ganze Nacht abdeckt – das wie ein Staffelstab zwischen Sekretärin, Kollege und Kellner hin und her gereicht wird? Ich weiß, was er ausgesagt hat: Er war im Fitnessraum im Keller des Büros, Abendessen bei Nobu , Drinks im Dorchester . Da herrscht doch meistens so ein Gedränge, dass niemandem auffällt, wer da ist und wer nicht, oder?«
Ich schließe die Augen. Philips Parlee Z2: Wie stolz er darauf ist, wie schnittig und schnell es ist. Vom Büro nach Hause in weniger als fünfzehn Minuten. Ein Augenblick. Ein Blinzeln. Im Nullkommanichts.
»Es könnte trotzdem Tolek gewesen sein«, sage ich. »Er kann in Bezug auf Polen gelogen haben. Ich meine, er kann es immer noch gewesen sein. In einem eifersüchtigen Wutanfall. Ich meine … Ich gehe erst zur Polizei, wenn ich mehr weiß. Wenn Philip sie nicht umgebracht hat, brauchen sie nichts davon zu erfahren. Dann will ich nicht, dass Millie das durchmachen muss. Die Presse wieder vor dem Haus. Sie kommt heute heim. Sie kann jede Minute hier sein.«
»Jetzt aber, Gaby«, sagt er geduldig. »Es sind Beweise. Es tut mir leid, aber die Polizei muss es erfahren, so oder so. Und wenn Philip es war, sind Sie nicht sicher. Um Himmels willen, womöglich hat er sogar versucht, es Ihnen in die Schuhe zu schieben.«
»Perivale hat von neuen Beweisen gesprochen. Ich wüsste zu gern, was das ist.«
»Ich setze mich mit Morrow in Verbindung. Mal schauen, ob ich ihr die Daumenschrauben anlegen kann.«
»Tun Sie alles, um es herauszufinden. Schlafen Sie mit ihr, wenn es nötig ist.«
»Immer mit der Ruhe«, erwidert er.
Wir lachen. Ich glaube jedenfalls, dass ich lache. Vielleicht weine ich auch.
»Geben Sie mir ein paar Stunden. Es muss eine andere Erklärung geben.« Jetzt flehe ich ihn an. »Ich muss es mit eigenen Ohren hören. Vertrauen Sie mir, Jack. Bitte.«
Das Haus ist leer. Kein einziges Geräusch. Still wie ein Grab. Eine Stille, die sich wie Ohrenschützer über die Ohren legt.
Ich gehe zum Fuß der Treppe und lausche auf eine Stimme, ein Knarren. Auf der untersten Stufe liegt ein Briefumschlag mit meinem Namen darauf. Philips Handschrift. Er hat mir einen Brief geschrieben.
Der Umschlag ist nicht zugeklebt und die Lasche auch nicht eingesteckt, der glänzende Klebestreifen jungfräulich. Darin zwei Blätter. Ich setze mich und falte sie auseinander.
Liebe Gaby,
ich dachte, ich könnte weitermachen, ohne Dir die Wahrheit zu sagen, aber ich kann nicht. Ich muss Dir alles sagen, sonst ist alles wertlos. Nichts bedeutet irgendetwas. Ist es feige, es Dir in einem Brief zu schreiben? Also, dann bin ich ein Feigling.
Ania ist zu einem Vorstellungsgespräch hergekommen. Ich hätte es Dir sagen sollen, aber es war das Wochenende, an dem Deine Mutter starb. Und es stellte sich heraus, dass Du den Job eh schon Marta gegeben hattest. Und dann habe ich es vergessen. Es schien nicht wichtig zu sein.
Zwei Tage später bin ich ihr zufällig auf dem Common über den Weg gelaufen. Ich war auf dem Fahrrad auf dem Heimweg von der Arbeit und hätte sie beinahe umgefahren, direkt hinter der Brücke, wo der Radweg endet. Ich hatte Schuldgefühle, weil ich ihr nicht Bescheid gesagt hatte wegen der Stelle, und am Ende habe ich sie zu einem Kaffee eingeladen. Dann habe ich sie nach Hause gebracht.
Wir fingen eine Affäre an. So, ich habe es hingeschrieben. Ich kann es nicht ungeschrieben machen.
Wir wollten uns nicht verlieben. Ich sollte lügen und behaupten, ich hätte sie nicht geliebt, aber das habe ich. Ich muss ehrlich sein. Das bin ich ihr
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