Ich bin unschuldig
was ich sowieso anhatte) öffnete ich die Tür, um die Sonntagszeitungen hereinzuholen. Zwei Fotografen – klein, stämmig, rotgesichtig, man könnte meinen, sie kämen direkt von einer drittklassigen Castingagentur – waren schon draußen. Als sie mich sahen, drückten sie ihre Zigaretten aus. »Geben Sie uns ein Bild, Gaby«, »Kommen Sie, Gaby« und »Lächeln Sie, Gaby, womöglich ist es die einzige Gelegenheit«.
Ich wartete kurz, die Zeitungen unter den Arm geklemmt. Danach bedankte ich mich bei den Fotografen – was sie immer überrascht – und schloss die Tür.
Das war’s, dachte ich. Doch heute Morgen sind die Zeitungen voll davon. Im Auto auf dem Weg zur Arbeit erfahre ich über » TV -Gabys heimliches Grauen« und »Gabys Horrormorgen«. Die meisten Einzelheiten über meine Entdeckung sind da, zusammen mit neuen Informationen über die Frau. Nicht ihr Name, aber die Tatsache, dass sie Polin war und anscheinend »ganz in der Nähe« gewohnt hat. Eine Arbeitgeberin wird zitiert, ihre Trauer in boulevardträchtige Plattitüden gezwängt: »Sie war ein netter Mensch, und alle, die mit ihr zu tun hatten, werden sie sehr vermissen.« Kein Artikel brachte Fotos von ihr. Sie ist abwesend. Ich bin anwesend, traurig, aber beherzt, auf der Schwelle zu meinem Haus. Das ist nicht richtig.
Auf einem Foto lauert hinter mir im Flur ein Schatten. Es dauert einen Augenblick, bis ich begreife, dass es Marta ist.
Steve wirft mir im Rückspiegel einen Blick zu. »Geht es Ihnen gut?«
»Ja.« Entschlossen lasse ich die Zeitungen zu Boden fallen und stelle die Füße drauf. »Neuigkeiten vom Frauenarzt?«
»Nichts Ernstes«, sagt er. »Polypen.«
»Ein Polyp?«
»Nein, Polypen.«
Aus irgendeinem Grund müssen wir beide lachen.
Terri spricht mich an der Tür zur Produktionsbesprechung an. Boris Johnson, der heute eigentlich in die Sendung kommen und über seinen »Thames Estuary Airport« sprechen sollte, hat sich wegen Durchfall entschuldigt. Jetzt wird etwas Ernstes gebraucht, etwas Aktuelles, um das Loch zu stopfen.
Ich lenke sie gleich in eine andere Richtung. »Was haben wir denn noch?«, frage ich und setze mich. Es ist still im Raum, angespannt, ein erwartungsvolles Knistern in der Luft.
Dawn, die Regieassistentin, zieht ihr Klemmbrett zu Rate und liest vor, woran ich mich noch von Freitag erinnere: ein Flirt-Meisterkurs von dem Moderator einer neuen Dating-show; Simon Cowell in der Küche, wo er seine berühmten Lammspießchen zubereitet; Indias Angesagte Apps ; Kate Bush, die kürzlich mit einem neuen Album von den Toten wiederauferstanden ist (»Ich bin’s, Cathy. Ich bin wieder da«); drei hübsche Schauspielerinnen aus Downton Abbey, um über … na ja, Downton Abbey zu reden.
Ich zermartere mir das Hirn. Ich habe mir am Wochenende im Geiste eine Liste gemacht, und ich gehe ein paar von meinen Ideen durch – sie sind nicht gerade brillant: die wachsende Beliebtheit von Flashmobs (ein Rockchor besetzt ein Einkaufszentrum in Basingstoke), eine Kaffee-Blindverkostung in der Hauptgeschäftsstraße (Starbucks ist angesichts düsterer Quartalszahlen auf doppelte Espressos umgestiegen).
Schweigen senkt sich herab. Niemand sieht mich an, außer Terri und Stan, der am anderen Ende des Raums die Füße auf den Tisch gelegt hat.
»Es ist halt …«, setzt Terri an. Sie schiebt den Steg ihrer schweren schwarzen Hornbrille – modisch unmodern – die Nase hoch. »Ich habe überlegt … also, was ist dieses Wochenende die große Story? Worüber wollen die Leute etwas erfahren?«
»Du.« Stan hat die Füße vom Tisch genommen. »Du, Schatz, bist die Story.« Er klingt nicht ganz so selbstbewusst wie gewohnt. Überlegt er etwa noch, was für ihn dabei rausspringt? Wägt er die Vor- und Nachteile ab? Oder hat sein PR -Berater vorgeschlagen, er soll sich in eine polizeiliche Ermittlung reinziehen lassen?
»Ich habe überlegt«, wiederholt Terri, »ich würde gern was darüber machen, wie es ist, so eine schreckliche Erfahrung wie du zu machen. Du sprichst direkt in die Kamera, erzählst deine Seite der Geschichte. Wir könnten einen Psychologen hinzuziehen und ihn neben dich aufs Sofa setzen, damit er erklärt, was an Nachbeben noch zu erwarten ist. ›Mein Trauma‹, so was in der Art.«
Alice, unsere Rechercheurin, blickt auf. »Adam Phillips sagt, er könnte um zehn hier sein.«
»Es ist nicht ›mein Trauma‹«, widerspreche ich. »Ich habe die Tote bloß gefunden. Es ist nicht meine Tragödie. Es
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