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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Durrant
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ein Blatt Papier in seinem Schoß, und weil er nicht hinsieht, verdreht sie achselzuckend die Augen.
    »Wenn Sie sich bitte ein paar Minuten setzen würden«, sagt er und schaut auf, als wäre ich gerade in sein Büro geführt worden. »Es dauert nicht lange, aber es ist wichtig.«
    Ich habe ihn am Wochenende gegoogelt. Er ist Leiter der Mordkommission in Battersea und hat für seine Ermittlungen im Krieg der Indischen Restaurants in Tooting 2009 eine Belobigung erhalten.
    Ich löse mich vom Türrahmen und hocke mich an den Tisch. Ich überlege, ob ich ihnen eine Tasse Tee anbieten soll, doch irgendwas an seinem Tonfall hält mich davon ab.
    »Haben Sie diese Frau schon einmal gesehen?«, fragt DI Perivale. Zwischen zwei Schneidezähnen hängt ein Fetzchen Kopfsalat, und auf seinem Adidas-Oberteil mit Reißverschluss klebt ein Bröckchen, das nach getrocknetem Ketchup aussieht. Wenn ich Rechtsmediziner wäre, würde ich sagen, er hat sich auf dem Weg hierher einen Big Mac gegönnt.
    Er dreht ein Foto zu mir.
    Ich weiß, dass es von ihr ist, bevor ich den Blick darauf richte. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mich vor diesem Augenblick gefürchtet.
    Es wurde in einem Garten aufgenommen, an einem Klettergerüst. Zwei Kinder hängen an einer Kletterstange. Ein rotes Plastikauto für Kleinkinder steht verlassen zu ihren Füßen, und sie lehnt sich mit einem breiten Lächeln nach hinten, um die Beine des kleineren Kindes festzuhalten. Ihre Vorderzähne neigen sich ein wenig nach hinten, als wären sie eingedrückt, und ihr dunkelrotes Haar ist zu zwei Zöpfen geflochten. Sie ist dünn und hat ein schmales Gesicht und dicke falsche Wimpern, die sagen: »Ich glaube, ich bin es wert, dass ich mir die Mühe mache, auch wenn es sonst niemanden interessiert.« In einem Ohrläppchen trägt sie ungefähr sechs Ringe.
    Das Foto macht mich schier unerträglich traurig.
    »Sind das ihre Kinder?«, frage ich.
    »Sie kommt Ihnen kein bisschen bekannt vor?«
    »Also, nur in dem Sinne … Sie wissen schon, was Sie neulich gesagt haben, dass sie mir ein bisschen ähnlich sieht. Wer ist sie? Sind das ihre Kinder?«, frage ich noch einmal.
    »Wir wissen, dass sie Ania Dudek hieß, dreißig Jahre alt war und am Fitzhugh Grove, SW 18 wohnte.« Hieß, hat er gesagt, nicht heißt. »Die Familie in Putney, bei der sie gearbeitet hat, hat sie am Samstag, als sie nicht zur Arbeit kam, als vermisst gemeldet. Das auf dem Foto sind deren Kinder. Sie hat bei ihnen als Kindermädchen gearbeitet.«
    »Ania Dudek«, wiederhole ich. Kindermädchen. Wenigstens nicht ihre Kinder. Ein schöner Job bei einer netten Familie in Putney, dem sympathischen, sicheren Vorort, wo auch der Politiker Nick Clegg lebt. Also ganz und gar nicht zwei Welten, die kollidieren.
    »Sagt Ihnen der Name etwas?«
    »Nein.« Ich schüttele den Kopf. »Nichts.«
    »Waren Sie je am Fitzhugh Grove?«
    »Nein. Auch wenn ich natürlich weiß, wo er ist.« Mehrere hohe Gebäude am Rand des Common, ehemals im Besitz der Kommune. »Aber ich war noch nie drin.«
    »Sind Sie sich da ganz sicher?«
    Ich nicke.
    »Und Ania Dudek war auch nie hier?«
    »Nein.« Ich schaue zu PC Morrow, die seltsam den Mund verzieht, die Lippen einzieht, wie eine Comicfigur, deren Gesicht ausdrückt, »sie wäre lieber nicht hier, muss aber«, ein Ausdruck weiblicher Solidarität. Ich lächle sie an. »Nie.«
    »Interessant.« Er zieht das Blatt hervor, das er auf dem Schoß hatte. Es ist eine Seite aus einer Zeitschrift – ein Ausschnitt – in einer dünnen Plastikhülle: eine Anzeige aus der Lady für ein Kindermädchen, das im Haus der Familie wohnt, in Wandsworth. In dem Augenblick, da ich die Anzeige sehe – die Gestalt der Worte, das Layout –, weiß ich, dass es die ist, die ich letzten Sommer aufgegeben habe, nachdem Robin gekündigt hatte.
    »Irgendeine Idee, warum das mit einem Magnet am Kühlschrank der toten Frau befestigt war?«
    Ich hatte letzten Winter eine Virusgrippe, und die Infektion griff aufs Innenohr über, was zu plötzlichen Gleichgewichtsstörungen führte – einseitiger Vestibularesausfall, wie der Arzt es nannte. Es war kein einfacher Schwindel, sondern eher ein heftiger Drehschwindel; der Raum kreiselte um die eigene Achse. Genau dieses Gefühl habe ich jetzt. Ich starre auf den Tisch, auf die Plastikhülle. Auf ihrer transparenten Oberfläche spiegeln sich der Himmel und die Wolken, und ein oder zwei Augenblicke lang weiß ich nicht, ob ich sitze oder falle.
    Ich bringe über

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