Ich bin unschuldig
gekannt.«
»Und Ihr Alibi«, sagt Fraser und richtet den Blick auf einige Notizen. »Sie haben einen Teil des Abends mit Ihrer Tochter und dem Kindermädchen verbracht, aber die restliche Zeit waren Sie allein. Ist das richtig?«
»Ja. Mein Mann ist erst gegen drei Uhr heimgekommen.«
»Unvollständiges Alibi«, bestätigt Perivale.
»Was? Spielt es denn eine Rolle, ob es unvollständig ist?«
Perivale stößt ein sarkastisches Lachen aus.
»Was interessiert Sie mein Alibi?« Ich stehe auf. Plötzlich begreife ich, worauf das hier hinausläuft. Ich habe Angst, aber vor allem bin ich empört. »Sie denken, ich hätte sie umgebracht?«
Perivale öffnet die Hände, neigt den Kopf zur Seite, bewegt die Lippen. Eine Geste, mit der er ausdrückt: »Das könnte man so sagen; ich enthalte mich jeglichen Kommentars.«
»Selbst wenn sie mein Stalker war, ist das kein Motiv. Ich hätte sie doch nicht umgebracht.« Sind sie verrückt oder einfach nur dumm?
»Außer in Fernsehkrimis interessiert sich niemand groß für ein Motiv«, sagt Fraser. »Meiner Erfahrung nach sind wer, wo und wie weitaus wichtiger als warum.«
Perivale steht auf. »Wir sehen uns wieder. Unternehmen Sie keine größeren Reisen.«
In dem Augenblick, da ich durch die Haustür trete, laufe ich rauf in meinen begehbaren Schrank, zerre einen ordentlichen Kleiderstapel nach dem anderen auseinander und verstreue die Sachen. Als ich fertig bin, stehe ich mitten im Schlafzimmer, um mich herum ein einziges Kleiderchaos.
Marta und Millie sind in der Küche. Millie lümmelt auf dem Sofa, wo sie angeblich Hausaufgaben macht, obwohl ihre Bücher überall verstreut sind und sie keinen Stift hat. Marta putzt mit Latexhandschuhen die Spüle. Millie stürzt sich auf mich und will wissen, wo ich war und ob ich irgendwelche Kollektiva kenne, denn Marta kennt keine. Dann setzt sie zu einer langen Geschichte darüber an, warum sie Izzie Matthews hasst. Ich werfe Marta einen Blick zu. Sie lächelt nicht. »Wir hassen niemanden«, sage ich. »Du kannst höchstens sagen, dass sie das Schlimmste aus dir herausholt.«
Sobald wir Millies Hausaufgaben erledigt haben (Werkzeug, Obst, Belegschaft) und sie ruhig mit ihrem rosa Kaninchen und ihrem Bären (Kongress der Plüschtiere) im Bett liegt, schnappe ich mir Marta auf dem Treppenabsatz und frage, ob ich kurz mit ihr reden kann.
»Ja«, sagt sie.
»Möchten Sie ein Glas Wein oder eine Tasse Tee oder so?«
»Nein.«
Sie steht auf der obersten Stufe, eine Hand an der Wand, die andere auf dem Geländer und versperrt mir den Weg, das blasse Gesicht zur Seite geneigt und völlig ausdruckslos.
Es kommt mir vor, als würde ich zu sehr die Chefin rauskehren, wenn ich sie bitten würde, mit nach unten zu kommen, also frage ich sie im Halbdunkel dort, auf halber Treppe nach oben, auf halber Treppe nach unten, ob sie das Jerseyoberteil und die silberne Strickjacke gesehen hat, ob sie sich erinnert, ob ich die beiden Teile an Weihnachten mit nach Suffolk genommen habe. Sie schüttelt ein paarmal den Kopf. »Und mein Armband«, sage ich, »der graue Faden mit den Silberperlen … Haben Sie das gesehen?« Wieder schüttelt sie den Kopf.
»Was ist mit Ania Dudek, der Frau, die umgebracht wurde. Sie war Polin. Ein wenig älter als Sie, aber vielleicht sind Sie ihr ja mal über den Weg gelaufen oder haben sich vielleicht in denselben Kreisen bewegt?« Schon während ich es sage, geht mir auf, wie taktlos, ja womöglich sogar kränkend das ist. Soweit ich weiß, bewegt Marta sich überhaupt nicht in irgendwelchen Kreisen. Bestürzt sehe ich sie an.
»Ich bin hier, um mein Englisch zu verbessern«, sagt Marta. »Polnische Gesellschaft interessiert mich nicht. Ist das alles?«
»Ich … Ja.«
Sie kommt die letzten Stufen herauf und schiebt sich behutsam an mir vorbei. Dabei steigt mir ein leiser, aber deutlicher Hauch Feige in die Nase. Wie seltsam. Sie trägt dasselbe Parfüm wie ich. Sie öffnet ihre Tür einen winzigen Spalt, huscht hinein und schließt sie hinter sich. Doch vorher erhasche ich noch einen kurzen Blick auf Kleiderstapel auf dem Boden ihres Zimmers. Ich verharre noch eine Sekunde in dem Gefühl, als hätte ich sie länger als angemessen beansprucht, als hätte ich eine Grenze überschritten.
Es läutet an der Tür, und ich falle beinahe kopfüber die Treppe runter.
Ich öffne die Tür einen Spalt, und vor mir steht ein großer Mann mit Kisten voller Plastiktüten, die knistern, als der Inhalt verrutscht. Die
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