Ich bin unschuldig
wöchentliche Gemüsekiste. Ich öffne die Tür weit, um ihn einzulassen. Er trägt die Einkäufe in die Küche. »Wo soll ich damit hin? Hier unten, nicht wahr?« Seit es einen Fragebogen zur Bewertung der Ausfahrer gibt, sind sie schrecklich zuvorkommend.
Es gibt ein Ersatzprodukt – Möhren statt Zucchini. Ich merke erst, dass der Mann vom Lieferdienst die Haustür nicht hinter sich zugemacht hat, als ich wieder in den Flur komme. Sie hat die ganze Zeit weit offen gestanden. Windböen, Regen, Abfall, alles Mögliche, jeder hätte hereinkommen können, während ich nicht aufgepasst habe.
Im Bett komme ich zu dem Schluss, dass sie mich nicht verdächtigen können, denn dann hätten sie mich verhaftet. Es ist ein Spiel. Perivale will mich nur in die Schranken weisen. Trotzdem, ich konnte Perivales Erregung förmlich riechen. Er war wie ein Pferd, das sich kurz vor dem Rennen aufbäumt und die Nüstern bläht. Worauf haben sie gewartet? Was haben sie mir verheimlicht? Noch etwas anderes lässt mir keine Ruhe. Es kommt immer wieder hoch und huscht dann davon.
Mitten in der Nacht setze ich mich im Bett auf. Philip, der sich zu mir gelegt hat wie ein unsichtbarer Mann, wie ein Geist, rührt sich nicht. Ich weiß, was mich gequält hat. Dieses Oberteil, das rosafarbene T-Shirt mit den Flügelärmeln und Knöpfen vorn runter, ein flottes Sommertop: Ich hätte es in dem Augenblick erkennen müssen, als mein Blick darauf fiel. Als ich sie tot auf dem Common gefunden habe, hat Ania Dudek mein T-Shirt getragen.
Samstag
Brighton. Eisige Windböen fegen über das Meeresufer. Möwen, groß wie Katzen, hocken mit dem Rücken zum Meer auf der türkisfarbenen Balustrade, als spielte sich das Drama vor ihnen ab und nicht hinter ihnen. Es ist olivgrün da draußen, schaumweiß, der Himmel von einem blasseren, blaueren Grau, die Wellen steigen und fallen wie die Flügel eines Flugzeugs, und dann rollen sie herein und schlurren und saugen am Kies. Ein Hund schnüffelt vorbei. Kreischend und chaotisch flattern die grau-weißen Möwen auf, um ein Stück weiter in derselben Reihe wieder zu landen. Frisch in der Luft ist Ozon und Diesel und der Geruch von heiß gebackenen Donuts.
»Ich finde das Meer im Winter viel schöner«, sage ich. »Meinst du nicht? Die Farben und alles. Viel romantischer.«
Philip trottet mit gesenktem Kopf neben mir her. Für den Vormittag hat er sein BlackBerry ausgeschaltet. Und auch wenn er fast katatonisch schweigsam ist, bedeutet das doch immerhin, dass er sich Mühe gibt.
»Erinnerst du dich noch, wie ich bei Newsnight war und die ganzen Parteitage machen musste? Weißt du noch, wie du blaugemacht hast und zu mir nach Blackpool gekommen bist, in dieses schäbige Hotel am Meer? Es war ganz aus Glas, nur dass sämtliche Scheiben getönt waren und an allen diese komischen, verstaubten Lamellenvorhänge waren, sodass man nirgends die Aussicht genießen konnte?«
Philip gibt einen Laut von sich, den ich als Zustimmung deute, dass dieses Ereignis tatsächlich stattgefunden hat, dass es dieses Hotel mit den Lamellenvorhängen tatsächlich gab.
»Wo sollen wir zu Mittag essen?«
»Mir egal.« Er räuspert sich. »Such du was aus.« Ich versuche nicht zu denken, dass irgendetwas mit uns nicht stimmt. Ich versuche nicht zu denken, seine Gleichgültigkeit hat weniger mit der Wahl des Restaurants und mehr mit mir zu tun.
Ich packe das kleine Stückchen meiner Seele, das versucht zu entweichen. Wir müssen uns noch den Royal Pavilion ansehen und uns in den kuriosen Läden in den Lanes umsehen. Antiquarische Bücher und Vintage-Kleider und Designer-Küchenutensilien.
»Ich hab keinen großen Hunger«, bringe ich fröhlich heraus. »Lass uns später entscheiden.«
Mein Leben ist zur Normalität zurückgekehrt. Wenn es möglich ist zu glauben, das Entsetzen von Ania Dudek könnte je verschwinden, dann scheint es verschwunden zu sein. Philip war abwesend – oder anwesend abwesend (er hat kaum geschlafen) –, aber ich hatte drei Tage voller Routine: Arbeit, zu Hause, Millie, Abendessen, gelegentlich eine Runde laufen, um mich abzulenken. Die meiste Zeit war ein Mann in einem Auto vor dem Haus postiert, oder wenigstens so nah am Haus, wie er einen Parkplatz fand (Parken ist hier in der Gegend so was wie ein Wettkampfsport). Sein stoppelkurz rasierter Schädel lässt mich vermuten, dass es der Polizist ist, der mich am Dienstag zum Revier gefahren hat, aber ich bin mir nicht sicher. Ich weiß auch nicht, ob
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