Ich bin unschuldig
die Hände und sagt: »Gut, fangen wir an.« Für sich haben sie keinen Tee mitgebracht. Vielleicht würde es die falsche Botschaft aussenden. Dies ist kein geselliges Zusammentreffen. Ich zermartere mir das Gehirn, ob Inspektor Morse im Vernehmungszimmer je Tee trinkt.
Perivale schaltet ein Aufnahmegerät ein. Ich sage mir, dass es nichts anderes ist als der Augenblick beim Examen, wenn man aufgefordert wird, die Unterlagen umzudrehen. Ehe ich mich’s versehe, ist es schon wieder vorbei. »Erstens, Sie stehen nicht unter Arrest. Es steht Ihnen jederzeit frei zu gehen.«
»Das ist doch gut.« Ich will mich erheben.
»Aber wenn Sie gehen wollen, müssen wir Sie festnehmen.«
Das kann nur ein Witz sein, doch leise Angst macht sich breit. Perivale verhält sich irgendwie anders. Es ist fast, als würde er es genießen, etwas zu wissen, was ich nicht weiß.
Er schlägt eine Dokumentenmappe auf und legt das Foto von Ania Dudek auf die melaminbeschichtete Tischplatte. »Nur um ganz sicherzugehen: Sie haben diese Frau noch nie gesehen?«
Ein Stich beim Anblick ihres Gesichts. Meine Augen füllen sich überraschend mit Tränen. »Nein. Das habe ich Ihnen doch gesagt.«
»Und Sie waren auch nie in ihrer Wohnung?«
Ich tue, als müsste ich mir die Augen reiben, um die Tränen wegzuwischen. »Nein.«
Vermutlich wiederholt er die Fragen wegen des Tonbandgeräts oder des DCI . Ich schaue rüber zu Fraser, und er schenkt mir ein rasches, überraschend nettes Lächeln. Perivale bläst sich nur auf. Ich bin nur eine Zeugin.
Dann holt Perivale noch etwas aus seinem Aktendeckel. Zuerst denke ich, es ist die Anzeige aus der Lady , doch es ist breiter, das Papier dünner, gelblicher, Text und Foto ganz anders verteilt. Kniffe im Zeitungsausschnitt lassen vermuten, dass er gefaltet worden ist. Selbst auf dem Kopf erkenne ich, dass das auf dem Foto ich bin.
»Haben Sie eine Idee, warum Ania Dudek das hier in ihrem Besitz hatte – ›Mein perfektes Wochenende: Fernsehmoderatorin Gaby Mortimer genießt die Zeit mit ihrer Familie‹, ein Artikel, der am Sonntag, den siebzehnten September letzten Jahres im Telegraph erschienen ist?«
Im ersten Augenblick verstehe ich nicht, was er meint. Dann klopft mir das Herz bis zum Hals. Ich habe so viel über diese Frau nachgedacht. Wie seltsam, dass sie auch über mich nachgedacht hat. Ich betrachte den Schnipsel und versuche, meine Gedanken zu sortieren. Einzelne Zeilen springen mir entgegen: »Freitagabend ist Movie-Abend. Als einziges Kind einer alleinerziehenden Mutter ist die Familie essenziell für mein Wohlbefinden. Mein Mann kommt zeitig nach Hause, und wir lassen uns etwas zu essen kommen und essen es im Bett vor dem Fernseher …« Ich glaube, es war Juni, als ich mit dem Journalisten gesprochen habe; es lag also eine Weile in der Redaktion in den Akten. Es ist wie eine Zeitkapsel, ein Prüfstein aus einer glücklicheren Zeit. Am Rand ist eine Spalte mit Fragen und Antworten. Auf »Traumwochenende?« habe ich geantwortet: »Matschige Spaziergänge mit meiner Tochter und meinem Mann.«
Ich schaue auf, merke, wie die Farbe zurückkehrt. »Ich habe keine Ahnung, warum sie es hatte. Seltsam. Wissen Sie es?«
Fraser und Perivale starren mich an. Ich senke den Blick. Mein Gehirn fühlt sich fiebrig an. Ich überlege laut. »Vielleicht wollte sie sich als Kindermädchen bewerben, weshalb sie die Anzeige aus der Lady aufbewahrt hat, und dann hat sie es aus irgendeinem Grund doch nicht getan. Vielleicht kam ihre Bewerbung zu spät. Dann wurde sie neugierig. Ich wohne nicht weit weg von ihr. Sie hat mich womöglich erkannt. Vielleicht hat sie es ausgeschnitten, um es jemandem zu zeigen: ›Das ist die Frau, die neulich ein Kindermädchen gesucht hat.‹ Was meinen Sie?«
Ich richte den Blick auf Perivale und hoffe auf Antworten, doch er setzt zu einem seiner Exkurse an. Ich versuche mich zu konzentrieren. Der Zeitungsausschnitt bereitet mir Bauchschmerzen, Perivale nicht. Er erklärt mir, er habe Anias Wohnung durchsucht, und wenn er einen Tatort durchsuche, habe er »eine Marotte: Ich halte mich immer links und folge der Wand um den Raum. Wenn man den Irrgarten in Hampton Court betritt und sich an der Hecke immer links hält, gelangt man irgendwann ins Zentrum. Man löst das Problem. Es ist eine gute Technik. Leichenflecken, Speichel, kleine Partikel, mir entgeht nichts.«
Er hat mein Interesse geweckt, auch wenn ich keine Ahnung habe, worauf er hinauswill. Vermutlich will er bloß
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