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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Durrant
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würden die Dinge langsam angekurbelt, neu anfangen. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten versuche ich mir, während ich mit Philip in Brighton in einem Café sitze, ein ganz normales Leben vorzustellen.

Mittwoch
    Kurz nach der Morgendämmerung kommen sie mich holen. Es ist, als hätten sie darauf gewartet, dass Philips Taxi die Straße rauffährt und mit stotterndem Motor um die Ecke ruckelt, bevor sie klopfen.
    Ich bin halb angezogen. Mit der Strumpfhose in der Hand bin ich an die Tür gegangen. Das Licht hier draußen ist heute rosa, als wäre die Sonne einmal früh aufgegangen und überlegte, sich hervorzuwagen. »Ich dachte, es wäre mein Mann«, sage ich. »Ich dachte, er hätte seinen Pass vergessen.«
    »Gaby Mortimer?«
    »J…ja?«
    Irgendetwas stimmt nicht. Perivale, der doch genau weiß, dass ich Gaby Mortimer bin, sieht mich an. Er betrachtet die Glyzinie, das knorrige Holz, die hoffnungsfroh lindgrünen neuen Wedel, als suchte er daran nach Knospen.
    »Ich nehme Sie fest«, sagt er, »unter dem Verdacht, Ania Dudek in der Nacht zum sechzehnten März umgebracht zu haben. Sie müssen nichts sagen, aber es kann Ihrer Verteidigung schaden, wenn Sie, danach gefragt, etwas verschweigen, worauf Sie sich später vor Gericht berufen wollen.«
    Ist das der korrekte Satz? Er klingt falsch, entstellt zu einem lächerlichen Muster. Zufällige, hässliche Worte. Oder ist es das Rauschen, das Blut in meinem Kopf? Neuronen, Synapsen, elektrische Impulse, die durch mein Nervensystem zischen. Ich will etwas sagen – »Was? Machen Sie sich nicht lächerlich!« –, doch Zähne und Zunge füllen meinen Mund bis in den letzten Winkel aus, und ich bringe kein Wort heraus. Die Knie geben unter mir nach. Meine Glieder verflüssigen sich und lösen sich ganz auf. Mein Körper, Haut, Muskeln, Knochen, scheint jemand anderem zu gehören. Im Zentrum meines Sehfelds erkenne ich immer noch Perivale, doch der Rest der Welt ist schwarz geworden.
    PC Morrow schiebt sich an ihm vorbei, fasst mich am Arm und führt mich ins Haus. Sie redet leise auf mich ein, als wäre ich eine verwirrte alte Dame, die glaubt, ihr Pflegeheim wäre ein Hotel. Bin ich eine verwirrte alte Dame, die glaubt, ihr Altenheim wäre ein Hotel? Sie stützt mich weiterhin und führt mich die Treppe hoch. »Hier. Wir gehen. Die Treppe rauf«, sagt sie. »Zuerst kümmern wir uns darum, dass Sie sich richtig anziehen, und dann fahren wir aufs Revier und trinken dort eine schöne Tasse Tee.« Oder hat sie Krankenhaus gesagt? Oder Tagespflegeheim? Ich weiß nicht, was sie gesagt hat. Es ist wie Migräne, nur ohne die Kopfschmerzen, man kann sich nicht mehr darauf verlassen, was real ist und was nicht.
    Ich setze mich auf die Bettkante, hundertzehn Jahre alt, und sie versucht, mir die Strumpfhose anzuziehen, kämpft damit, richtig Halt zu finden. Plötzlich lichtet sich das Schwarz. »Ich kann das allein«, sage ich und stoße sie beinahe weg. »Tut mir leid. O Gott, tut mir schrecklich leid. Habe ich Ihnen wehgetan? Es tut mir leid. Das ist der Schock. Ich meine, warum um alles in der Welt? Was ist passiert? Warum? Das ist doch absurd. Verrückt.«
    Ich habe die Strumpfhose angezogen und gehe jetzt im Zimmer auf und ab. Jetzt, da der erste Schock überwunden ist, bin ich außer mir. Am Fenster bleibe ich stehen und blicke durch die offenen Lamellen hinunter zu Perivale und dem kahlköpfigen Mann aus dem Golf. Das Polizeiauto parkt mit kreisendem Licht und laufendem Motor mitten auf der Straße, die fluoreszierenden Streifen pulsieren. Die wecken mir noch die ganze Straße auf. Wenn Rachel Curtis heute Morgen mit ihrem Hund hier Gassi geht, hat sie wirklich was zu erzählen.
    »Ich weiß«, sagt PC Morrow und zieht die freundliche, sommersprossige Nase kraus. »Das klärt sich sicher alles auf, und zum Mittagessen sind Sie längst wieder zu Hause.«
    »Ich muss arbeiten«, schreie ich fast. »Ich esse nicht zu Mittag.«
    »Gott, ich schon. Ich brauche meine regelmäßigen Mahlzeiten, und das fängt mit einem guten Frühstück an. Heute hatte ich Haferbrei mit Milch und Zuckersirup, der hat weniger Kalorien, als man denkt. Nur ein Punkt bei Weight Watchers. Ich versuche, zwischendurch nicht zu naschen.« Sie reibt ihren mehr als flachen Bauch, der in der Uniformhose mit dem unmodern hohen Bund steckt. »Das Problem ist der Automat in der Kantine. Ein KitKat hier, ein Bounty da … vielleicht eine kleine Packung Kekse …«
    Ich starre sie an, mir fehlen die Worte.
    Nach ein

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