Ich bin unschuldig
Ärger auf sich genommen, und ich war womöglich draußen, bevor er hier war. Womöglich aß ich schon zu Mittag.
Ich legte auf.
»Wollen Sie keine Nachricht hinterlassen?«, fragte PC Morrow.
»Dafür wollte ich meinen einen Anruf nicht verbrauchen«, sagte ich und lächelte sie an.
»Sie sind ’ne harte Nuss«, sagte sie. »Also gut. Versuchen Sie es bei jemand anderem.«
Zu Hause hob Marta nach dem ersten Klingeln ab. Millie war angezogen und aß gerade Cheerios. Ja, sie hatte sich beruhigt. »›Dummes Mädchen!‹, habe ich zu ihr gesagt. ›Deine Mama ist nachher wieder da. Sie ist doch so oft weg.‹«
Ich hatte nicht die Kraft, Anstoß zu nehmen, also lachte ich nur und erklärte ihr, ich wüsste nicht, wie lange die Polizei mich brauche – sie hätten nur ein paar Fragen, mehr nicht –, aber konnte sie »die Stellung halten«, bis ich wieder da war? Dies verzögerte die Sache ein wenig, denn Redewendungen waren, genau wie Kollektiva, in ihrem Sprachkurs in Tooting noch nicht dran gewesen.
PC Morrow nahm mir ziemlich abrupt das Telefon aus der Hand, als hätte ich ihre Freundlichkeit ausgenutzt. Sie sagte, wenn ich wollte, würde sie meine Arbeitsstelle informieren, dass …
»Komme ich heute zu spät?«
»… Sie nicht kommen.«
An diesem Punkt befanden wir uns hinter dem Empfangstresen des Reviers, und sie saß auf einer Art Barhocker, sodass sie mich ein Stück überragte, obwohl ich stand.
»Danke«, sagte ich. Ich dachte an Terris Panik und Stans Schadenfreude und Alison Brett, die nette, tüchtige Frau von der PR -Abteilung und was sie zu alldem sagen würde. Ich stützte die Ellbogen auf den Empfangstresen, schlug die Handflächen an die Stirn und verharrte einen Augenblick so.
»O Gott. Werden die richtig sauer sein?«, fragte PC Morrow. »Ich habe keine Ahnung, was in so einem Fall passiert. Wird Stan the Man ganz allein auf dem Sofa hocken? Der arme Stan … Oh!« Sie schob andeutungsweise das Kinn zu einer Schulter. »Wenn ich ganz lieb frage, darf ich mich vielleicht stattdessen neben ihn hocken.«
»Sie nicht auch noch«, sagte ich.
»Und was ist mit Ihrem Mann? Soll ich es weiter unter seiner Nummer probieren und ihm Bescheid sagen?«
Ich wurde ganz still. Ich dachte daran, dass Philip zur Beerdigung meiner Mutter zu spät gekommen war, dass er versprochen hatte, zu Millies Geburtstag zu Hause zu sein, und es vergessen hatte. Seine Distanz, das Gefühl, dass er kurz vor einer Entscheidung stand. Ich dachte daran, dass er gesagt hatte, diese Meetings seien sehr wichtig, wie angespannt er gewesen war, dass er, falls unsere Ehe überhaupt noch eine Chance hatte, Zeit für sich braucht. Ich dachte daran, dass er am Morgen gegangen war, ohne sich zu verabschieden.
»Keine Sorge«, sagte ich. »Ich rufe ihn später an, wenn ich zu Hause bin.«
Eine Stunde in einer Zelle ist eine Million Jahre draußen. Ich weiß nicht, warum man mich warten lässt. Was würde Inspektor Lewis sagen? »Lassen wir sie ruhig ein wenig schmoren.« Was bedeutet eigentlich »jemanden schmoren lassen«? Soll ich mir hier die Beine in den Bauch stehen? Wollen sie, dass ich mich langweile? Oder dass ich mich beruhige? Oder wollen sie, dass ich überschwänglich werde, wie ein Pferd? Die Stellung halten. Jemanden schmoren lassen. Sich die Beine in den Bauch stehen. Ein ganzer Morgen voller Redewendungen.
Was wollen sie von mir? Die Zeit vergeht endlos langsam. Ich spüre die Bewegung jedes einzelnen Atoms. Partikel verschieben sich.
Ich esse nichts, selbst als der Kahlgeschorene mir eine absolut kreisrunde Scheibe Kochschinken mit einer vollkommen kreisrunden Kugel Kartoffelpüree darauf bringt.
Ein junger, ängstlicher Polizist, noch grün hinter den Ohren ruft mich, als es so weit ist. Als ich lächle und ihn nach seinem Namen frage, wird er rot wie ein Mädchen – zwei rosa Flecken hoch auf den Wangen. Ich trage kein Make-up. Meine Haare sind nicht gemacht. Wahrscheinlich erkennt er mich nicht mal. Wen interessiert schon, was er seiner Freundin oder seinen Eltern über mich erzählt, wenn er nach Hause kommt? Ich muss hier keine Rolle spielen. Aber ich muss lächeln. Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. Teils tue ich es auch, um nicht zu weinen.
Perivale steht auf, als ich ins Zimmer komme – dasselbe langweilige Vernehmungszimmer wie zuvor – und es zusammenschrumpfen lasse. Ich tue, als würde ich mich umsehen. »Gefällt mir, was Sie hier gemacht haben«, sage ich. »Haben Sie mal
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