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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Durrant
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für Philip in eine witzige Erzählung verpacken kann. Ich habe mir überlegt, ihm zu erzählen, dass ich immer wieder den Kopf gedreht und über die Schulter gelächelt habe, weil doch jeder Profi weiß, dass das ein besonders schmeichelhaftes Profil ergibt. Das habe ich natürlich nicht getan. Ich habe so verdrießlich und versteinert dreingeschaut, wie mir zumute war. Für kein Geld der Welt hätte ich ein Lächeln zustandegebracht. Kein Verbrecherfoto, ein Schnappschuss meiner Seele.
    Sie haben mir Fingerabdrücke abgenommen – und ich habe aus Versehen einen Daumenabdruck auf den Saum meines Rocks geschmiert. Einer von uns geht nie wieder raus, dachte ich bei mir. Da, ein Witz! Den konnte ich Philip erzählen. PC Morrow fragte mich, ob ich ein Exemplar der »Verfahrensrichtlinien« haben wolle.
    »Niemand will eins«, sagte sie. »Doch, einmal hatte ich es mit einem Typ zu tun, blau wie ein Schwein, unaufhörlich am Stänkern, dumm wie Bohnenstroh, wenn Sie meine Ausdrucksweise entschuldigen. ›Sicher Sir‹, habe ich zu dem gesagt. ›Soll ich Ihnen mit den schwierigen Wörtern helfen?‹« Sie kicherte.
    Ich habe gesagt, ich bräuchte nichts, danke.
    Ich habe auch anwaltlichen Beistand abgelehnt. Philip hat seine eigene Kanzlei, genauso nobel wie sein Reiseberater: ein schicker Anwalt im dritten Stock für Testamente, einer im sechsten Stock für Eigentumsübertragungen und im achten Stock vermutlich noch einer, gleichermaßen schick, für den Fall einer Anklage wegen Mordes. Nur das Beste für das erfolgreiche Paar. Aber ich will keinen schicken Anwalt. Es käme einem Schuldeingeständnis gleich. Ich will nicht einmal den Pflichtverteidiger sehen. Ich brauche keinen.
    »Aber der Pflichtverteidiger kostet nichts!«, hat PC Morrow gesagt, als ginge es um eine neue Joghurtsorte, die man im Einkaufszentrum in die Hand gedrückt bekommt.
    Ich schließe die Augen. Die Zelle ist zu klein, also gehe ich im Geiste auf und ab. Auf und ab. Auf und ab. Es tröstet mich nicht. Ich bin wieder im Vernehmungszimmer; die Zeitungsausschnitte sind umgedreht worden, aber ich habe sie mir nicht angesehen. Als Millie zur Welt kam, hatte ich immer wieder einen Albtraum: Ich war mitten in Bombay, Gedränge, Menschen, Verkehr, Lärm, und Philip wollte mich überreden, in einen vollgestopften, hoch beladenen Bus zu springen, wie sie dort überall herumfahren, aber ich konnte nicht, weil ich eine Katze auf dem Arm hatte, eine Streunerin, die ich als Kind in unserem Schuppen gefüttert habe, und sie kämpfte, um freizukommen, und ich wusste, wenn ich sie fallen ließe, würde ich sie verlieren. Sie würde von der wimmelnden Stadt verschluckt werden. Ich würde sie nie mehr wiederfinden.
    Wegen der Katze war es ein dummer Traum – Philip warf mir »feline Sentimentalität« vor –, und doch habe ich jetzt genau dasselbe schwindlige Gefühl, am Rande von etwas Schrecklichem und Unausweichlichem zu stehen, einem unmittelbar bevorstehenden Verlust. Ich habe keine Kontrolle mehr über die Situation. Alles, was ich besitze – Geld, Haus, Job, Verbindungen –, all das bedeutet mir nichts.
    Beruhigende Gedanken, beruhigende Gedanken.
    Einen Anruf hat man mir erlaubt. Zuerst habe ich es bei Philip probiert, aber da war gleich die Voicemail dran. Es gab mal eine Zeit, da hat er mich angerufen, vom Bahnhof, aus dem Zug, vom Flughafen, da hatte er über Wochen schreckliches Heimweh, wenn er verreisen musste. Heute nicht mehr. Für solche Gefühle ist in seinem Leben kein Platz mehr.
    Heute Morgen hat er sich nicht einmal von mir verabschiedet. Als er nach unten ging, dachte ich, er würde noch einmal hochkommen. Ich hatte mir ein paar liebevolle Worte darüber zurechtgelegt, dass der Abstand uns sicher guttun würde. Ich wollte ihn fest in die Arme nehmen, falls es das letzte Mal war, dass ich ihn sah. Er weiß, dass ich so sentimental bin. Früher hat er mich immer geweckt und mir zum Abschied einen richtigen Kuss gegeben. Doch heute Morgen ist er nicht noch einmal hoch ins Schlafzimmer gekommen. Ich hörte nur noch das Taxi draußen auf der Straße und das Zuschlagen der Haustür.
    Also habe ich ihm keine Nachricht hinterlassen. Wozu auch? Wenn er schon durch die Sicherheitsschranke war, hätten sie ihn wahrscheinlich nicht mehr rausgelassen, und das wäre unglaublich stressig gewesen. Und selbst wenn, vielleicht wäre es am Ende noch überflüssig gewesen. Er hätte seine Reise abgebrochen, hätte die ganzen Unannehmlichkeiten und den

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