Ich bin unschuldig
Die Mühe, die ich mir gegeben habe, um mein sicheres Auftreten zu bewahren, meine fröhliche, unerschütterliche Ruhe, das Lächeln für die Fotografen, meine Höflichkeit – und doch haben ein paar schrille Sekunden draußen vor dem Haus genügt, um eine Persönlichkeit, eine Fassade, zu zerstören. Ich werde nie wieder »die nette Gaby Mortimer« sein. Selbst wenn sie die arme Ania Dudek längst vergessen haben, wenn sie dem kollektiven Gedächtnis längst entfallen ist, werde ich die Fernsehmoderatorin sein, die einen Fotografen getreten hat, die ihm diesen blauen Fleck verpasst hat.
Ich versuche zu schlafen. Vergeblich.
Um zehn Uhr rufe ich Alison Brett in der PR -Abteilung an. Ihre Sekretärin geht ran und sagt, sie sei in einer Besprechung.
Ich drehe mich im Bett um, liege auf meinen Händen, vergrabe das Gesicht in Philips Hemd. In Singapur ist es sechs Uhr am Nachmittag, das Ende des Arbeitstages. Philip hat meine Nachricht vor mindestens acht Stunden erhalten. Warum hat er nicht angerufen? Ich weiß, dass ich nicht gesagt habe, was passiert ist, aber das hat er doch sicher von jemand anderem gehört – eine SMS von einem Freund, ein kurzer Bericht auf Sky News? Bestimmt. Und dann ruft er nicht an? Klar, er könnte noch Meetings haben, absorbiert von einer Welt der Zahlen, abgeschnitten vom Klatsch der Daily Mail , und mich später anrufen wollen. Ich hätte meine Nachricht nicht so cool formulieren sollen, doch so mag er mich: cool, selbstsicher, erfolgreich. Seine berühmte Frau. Wäre es so falsch, das zu durchbrechen?
Ich denke darüber nach, wie die Dinge zwischen uns stehen – die Distanz, die abgerissene Verbindung, die dunkle Kluft mit den schartigen Rändern. Ich krame in meinen Erinnerungen – der Tag, an dem er mich nach der Arbeit überraschen kam. Ich sah ihn in seinem Businessanzug am Empfang stehen, bevor er mich sah, leicht vorgebeugt, ein Fisch auf dem Trockenen, einen Anflug von Verwirrung im Gesicht. Oder als ihn einmal ein anderer Radfahrer am Waterloo-Bahnhof vom Fahrrad gestoßen hat. Da kam er nach Hause gehumpelt, stand in der Tür, rief nach mir, den Ellbogen seltsam verdreht, mit blutendem Knie. Mein Herz schmerzt. Die Distanz zwischen uns kommt mir gar nicht so groß vor.
Ich greife nach dem Telefon, bevor ich es mir anders überlegen kann. Doch er geht nicht ran. Ich sollte auflegen, doch das tue ich nicht, und ich tue alles, was ich mir eigentlich verboten habe. Ich hinterlasse eine verworrene Nachricht und flehe ihn mit tränenerstickter Stimme voller Bedürftigkeit und Panik und Selbstmitleid (lauter Dinge, die er nicht ausstehen kann) an, mich anzurufen.
Erst als ich aufgelegt habe, begreife ich zu spät, dass es bei den traulichen Erinnerungen, die mir Mut gegeben haben, um seine Verletzlichkeit ging, nicht um meine.
Clara ruft an.
Ich könnte Schiffbruch erlitten haben und auf einem Floß im Ozean hüpfen, die Haut voller Blasen, eine Möwe zum Mittagessen, Clara würde mich trotzdem finden.
»Gaby.« Mehr muss sie gar nicht sagen. Ihr Tonfall verrät mir, dass sie die Zeitungen gesehen hat, dass sie weiß, dass es mir nicht gut geht, dass sie hier ist, meine Freundin, um mir beizustehen.
»Hallo.« Meine Stimme klingt kratzig vom wenig reden.
»Ich habe dir gestern eine SMS geschrieben. Ken, der Physiklehrer, hat mir erzählt, du wärst nicht in Mornin’ All gewesen, und ich dachte, du wärst krank, aber als du nicht geantwortet hast, habe ich gedacht, Philip und du wärt vielleicht verreist oder … Ich war im Unterricht. Ich hatte ja keine Ahnung, Gaby, bis ich eben gerade im Lehrerzimmer die Zeitungen aufgeschlagen habe.«
»Ich hab mein Handy verloren …«, jammere ich. »Ich hab dich zu Hause angerufen …«
»Es tut mir leid, Gaby. Wir waren mit den Kindern im Kino. Wenn ich gewusst hätte …«
»Ist nicht schlimm.«
»Doch. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was du durchgemacht hast. Geht es dir gut?«
»Mir geht’s gut.« Es kommt hoch und künstlich raus.
»Was machst du?«
»Ich räume auf.«
»Ehrlich?«
Ich schlucke schwer. »Räume bloß die Geschirrspülmaschine aus.«
»Okay, gut. Hausarbeit ist eine viel bessere Ablenkung als gemeinhin angenommen. Neulich hat die Katze ein Wollknäuel um ein Stuhlbein gewickelt …« Sie plappert noch ein Weilchen über die Freuden, Wolle zu entwirren, und dass es zwei Stunden gedauert hat und dass es die »glücklichsten zwei Stunden« ihres ganzen Erwerbslebens waren. Sie gibt mir Zeit. Sie
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