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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Durrant
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reinkommen sehen – ein lächerlicher kleiner Sieg, ein Funke. Ich umarme sie immer wieder, atme den Geruch von Bleistiftspitzen und Bohnerwachs ein und von dem speziellen Knoblauchgewürz, das sie beim Schulessen verwenden. Sie ist das Einzige, was zählt. Das sage ich mir immer wieder. Sie löst sich. »Zu fest«, sagt sie, »und du tropfst in meinen Hals.«
    Marta sieht von der Küchentür zu. Sie hat eine Miene aufgesetzt, die fast Abneigung ausdrückt, aber nicht ganz. Vielleicht hat sie Heimweh. »Hören Sie«, sage ich und wende mich zu ihr um. »Da ich hier bin, können Sie den Rest des Tages freinehmen. Wahrscheinlich gibt es vieles, was Sie gern tun würden.«
    Sie steht ganz unnachgiebig da und drückt die Schultern nach hinten. »Aber Millie und ich wollten schwimmen gehen.«
    »Machen Sie das ein andermal«, erwidere ich freundlich.
    Sie rührt sich immer noch nicht. »Aber ich habe es ihr versprochen.«
    »Es macht ihr sicher nichts aus. Millie? Oder?«
    Doch Millie kramt im Schrank nach Keksen und hört gar nicht zu.
    Ich wende mich wieder Marta zu und lächle. Ich erwarte, dass sie auch lächelt, doch das tut sie nicht. »Wir wollten ins Wellenbad«, versetzt sie. »Du willst doch dahin, nicht wahr, Millie?«
    Für einen kurzen Augenblick bin ich ein wenig verloren. Ich schaue wieder zu Millie. »Schatz, Marta spricht mit dir. Sie will mit dir schwimmen gehen, du kannst aber auch hierbleiben.«
    Millie hat den Mund voll Kekse. »Musst du arbeiten?«
    »Nein.«
    »Dann bleib ich hier.«
    Der Wind hat wohl die Tür erfasst, denn als Marta geht, fällt sie mit einem lauten Rums hinter ihr zu.

    Da Ferien sind, räumen Millie und ich ihre Schultasche auf. Wir bestaunen Zeichnungen auf braunem knittrigem Papier, Schokoladeneier von ihrer Lehrerin, ein wenig angeschlagen vom Heimweg, ein Projektbuch mit eingeklebten Bildern von Brot und Gemüse, ein »Nahrungsnetz«, einen Brief an den Weihnachtsmann, der vom Winter übrig geblieben ist, einen wackeligen Elefanten aus Lehm, der ein Ohr verloren hat. Wir legen die Schätze auf dem Fußboden aus und durchforsten sie wie Howard Carter und sein junger Assistent im Tal der Könige.
    Danach spielt sie im Garten, schaukelt ein wenig an den Stützen des Baumhauses und hockt sich eine Weile vor den Fernseher. Sie liest mir vor, und ich lese ihr vor. Wir basteln komplizierte Geschöpfe aus Plastikschnüren und Metallperlen. Wir unterhalten uns über Izzie Matthews und ob ihre Haare länger sind als Millies oder nicht. Selbst während ich mich mit diesem Thema befasse – mag sein, dass Izzies Haare ein ganz klein wenig länger sind, aber ich bin überzeugt, Millies sind dafür dicker –, mache ich mir Sorgen, warum Philip noch nicht zurückgerufen hat. Oder – auch wenn das anders gelagerte Sorgen sind – Alison Brett.
    Zweimal im Laufe des Nachmittags klappert der Briefkasten, und eine Stimme dringt ins Haus. »Gaby! Irgendeinen Kommentar, Gaby?« Beide Male ist Millie ganz versunken – einmal darin, eine Perle aufzufädeln, das andere Mal in Miley Cyrus. Ich weiß nicht, ob sie es hört. Wenn, sagt sie nichts.
    Sie fragt, ob wir schwimmen gehen können, und ich sage Nein. »Und zum Spielplatz?« Ich schüttele den Kopf. Allmählich langweilt Millie sich und wird quengelig. Ich spüre Panik aufkommen, langsam ansteigende Verzweiflung, meine Ressourcen sind aufgezehrt. Um die Zeit würde ich normalerweise nach Hause kommen, würde eine Brise von der Welt draußen mit hereinbringen. Wenn ich einen normalen Arbeitstag gehabt hätte, hätten die Stunden vor dem Schlafengehen einen anderen Geschmack, eine andere Intensität, ein anderes Tempo, nicht diese träge Mattigkeit. Die Zeit hat verschiedene Geschmäcker. Ich frage mich, ob India wirklich nicht besonders gut war. Ich frage mich, ob sie ein Stichwort verpatzt hat. Oder unkontrollierbar angefangen hat zu kichern. Ich hoffe es. Wie schrecklich von mir. Wie kann ich Mutter sein, wenn ich als Mensch schon so versage?
    Eine Nachbarin ruft an, um sich über die Reporter zu beschweren, »diesen widerlichen Pöbel«. Sie fragt, was ich dagegen zu tun gedenke. Sie rauchen vor ihrem Haus. Es ist ein Übergriff auf ihre Privatsphäre. Ich kenne sie nicht. Sie hat meine Nummer wohl von der Schulliste oder von Philips Squashliste vom Harbour Club . Ein Übergriff auf meine Privatsphäre. Im quengelnden Tonfall von jemandem, der es gewohnt ist, seinen Willen durchzusetzen, sagt sie: »Es ist uns anderen gegenüber nicht

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