Ich bin unschuldig
dachte, Sie wären womöglich Freundinnen gewesen und hätten sich gestritten.«
»Vielleicht ist sie in meine Kirche gegangen … Ich weiß nicht.«
»Die in der Balham High Road. Nicht weit von Tesco ?«
Sie zuckt die Achseln. »Viele, viele Polen gehen in meine Kirche.« Sie sagt es mit einer gewissen Verachtung, als wäre sie selbst keine Polin. »Vielleicht bin ich ihr ein- oder zweimal begegnet. Ich weiß nicht.«
»Haben Sie das der Polizei erzählt?«
Sie nickt wieder. Einen Augenblick lang habe ich das Gefühl, sie will noch etwas hinzufügen, doch sie scheint es sich anders zu überlegen. Sie sieht mich an, fast als würde sie warten.
Ich beschließe, das Risiko einzugehen. »Haben Sie sich je meine Kreditkarte ausgeborgt, Marta? Es würde mir nichts ausmachen. Ich möchte es nur wissen, denn es würde vieles erklären.«
»Ich benutze keine Kreditkarte. Ich besitze keine.«
»Auch nicht die aus meiner Geldbörse? Vielleicht habe ich sie auch auf der Ablage bei der Haustür liegen lassen? Ich weiß, dass ich manchmal vergesse, sie wieder einzustecken.«
»Nein.« Sie senkt den Blick und konzentriert sich auf ein paar Krümel auf dem Tisch, schiebt sie in einer Ecke zusammen und fegt sie in ihre Hand.
Ich seufze tief, schürze dabei die Lippen und spüre den Lufthauch an den Händen. »Es tut mir leid. Ich versuche nur, dem Ganzen auf den Grund zu kommen, Antworten zu finden. Sehen Sie, jemand hat meine Kreditkarte benutzt, und wenn Sie es waren … also, das wäre nicht schlimm. Ich wäre erleichtert.«
Plötzlich schrecke ich auf, denn sie lässt eine wahre Tirade vom Stapel. Sie schert sich nicht mehr um die Krümel, sondern redet wie ein Wasserfall: über Identitätsbetrug und über eine Freundin aus ihrem Sprachkurs, die in Colliers Wood lebt, und dass in einem Laden jemand einen Abdruck von der Kreditkarte dieser Person in Colliers Wood gemacht hat und damit Rechnungen bezahlt, Flüge nach Lagos gebucht und – sie spricht mit wachsendem Schock und Empörung – bei B & Q einen »sehr, sehr teuren« Kärcher-Hochdruckreiniger gekauft hat.
»Himmel«, sage ich. »Könnte durchaus möglich sein.« Und es stimmt. Es wäre durchaus möglich. Ich bin nur abgelenkt durch ihre kleine Rede. Ihr Englisch ist besser, als ich dachte. Es ist kein bisschen gebrochen. Es ist fest zusammengeklebt, wie eine schlecht geflickte Vase; man kann die Klebstofftropfen an den Rissen erkennen.
»Ja.« Sie steht auf und wirft die Krümel aus der Hand in den Mülleimer. Dann öffnet sie den hohen Schrank, um den Wischer herauszuholen, füllt einen Eimer und macht sich daran, in langen, regelmäßigen Wischbewegungen den Boden zu putzen. »Also, passen Sie gut auf«, sagt sie.
Ich hebe die Füße, als sie mit dem Wischer näher kommt. »Huch«, sage ich, als nass schimmernde Streifen meinen Stuhl zur Gänze einkreisen. »Jetzt haben Sie mich in der Falle.«
Sie lächelt nicht. Ich beobachte sie und ziehe die Mundwinkel weiterhin hoch, obwohl es anstrengend ist und wehtut, um zu zeigen, dass ich nur Spaß mache, doch ihre Miene bleibt verschlossen. Ihr Gesicht ist bewusst ausdruckslos und von einer leichten Röte überzogen, wie bei jemandem, der weiß, dass er beobachtet wird. Ich frage mich wieder, ob sie lügt, ob sie etwas zu verbergen hat oder ob es nur der kulturelle Unterschied zwischen uns ist, der es mir so erscheinen lässt. Nicht jeder lächelt im Umgang mit anderen die meiste Zeit, nicht jeder überlässt seinem Gesicht die halbe Arbeit. Schuldgefühle und Zweifel überkommen mich. Eine Lügnerin? Eine Diebin? Eine plausible Verdächtige? Ehrlich? Als es kürzlich im dichten Verkehr auf der South Circular Road nur mühsam voranging, schimpfte Steve über einen deutschen Fußballspieler: »Zu systematisch, zu effizient, nicht wie wir, kein Herz.« Ich erwiderte nur: »Sie kennen mich, Steve, Fußball ist mein Ding«, aber jetzt denke ich darüber nach. Ist das hier wirklich so anders? Die bösen Vorahnungen, die mich beschleichen, beruhen die auf Einsicht oder auf Fremdenfeindlichkeit?
Bevor wir zu Bett gehen, putzen wir das Haus. Verbündete, die sich nicht recht wohl miteinander fühlen. Marta saugt die Treppe, und ich gehe durch sämtliche Zimmer und räume alles wieder an Ort und Stelle. Wir reden nicht viel – hier und da mal ein Wort: »Können Sie mir das Putzmittel reichen?« Eine gemeinsame Aktivität. Davon reden Erziehungsberater doch unablässig. Die Supernanny Jo Frost auf dem Sofa,
Weitere Kostenlose Bücher