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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Durrant
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moralischer Unterstützung. Ich werde sie und die abschreckenden Beispiele, die sie enthalten – »Die grässliche Frau, die eine Leiche fand« –, dem geschäftigen Tag einverleiben.
    Arbeit. Die Arbeit wird mir guttun. Auf der Arbeit werde ich mich besser fühlen. Aber Steve ist zu spät dran, jede zusätzliche Minute eine Qual. Fünf Minuten zu spät … zehn … fünfzehn … Wo bleibt er bloß? Dann eine leichte Irritation, ein Gedanke, der aufblüht wie ein blauer Fleck. Terri hat gesagt, ich soll sie anrufen.
    Sie hat mir am Vortag ihre Handynummer gegeben, und ich wähle sie von unserem Festnetzanschluss. Sie ist beim ersten Läuten dran. »Terri«, sage ich schnell, »ich ruf nur an, um zu sagen, dass es mir gut geht. Ich bin gleich bei euch. Warte nur darauf, dass Steve vorfährt.«
    »Gaby«, sagt sie in einem Tonfall, der mir gar nicht gefällt, zu freundlich, zu überrascht, »Gaby, ehrlich, wie ich in meiner SMS geschrieben habe, nimm dir heute frei. Nimm dir ein paar Tage frei.«
    »Nicht nötig. Wenn ich ganz ehrlich bin, ich muss zurückkommen. Ich bin bereit. Oh, und schick keine SMS mehr, ich habe mein Handy verloren.«
    Ihre Stimme wird leiser, als wäre das Telefon runtergerutscht oder sie hätte sich abgewandt. »Ich finde, du solltest ein paar Tage zu Hause bleiben.«
    »Ehrlich, mir geht’s total gut. Ich habe die Zeitungen noch nicht gelesen, aber das mache ich im Auto. Ich sprudele über vor Ideen, das verspreche ich dir.«
    »Und was ist mit der Polizei?«
    »Ich bin auf Kaution draußen!«
    Sie antwortet nicht. Klappern im Hintergrund, Kameras, die hin und her geschoben, Türen, die geschlossen werden. Ein langes, unbehagliches Schweigen, in dem meine Hand sich so fest um das Treppengeländer klammert, dass ich es knarren höre und spüre, wie sich der Pfosten darunter bewegt. Ich denke an India mit ihrem strahlenden, weißen Lächeln. Etwas in mir bricht auf. Schließlich sagt Terri: »Es tut mir leid, Gaby. Die Oberbosse finden es nicht gut, wenn du herkommst, nicht nur im Augenblick, nicht, solange die Ermittlungen in diesem Mordfall noch laufen.«
    Mein Mund ist trocken. »Wenn ihr wollt, dass ich die Story bin«, bringe ich heraus – »Die dumme Frau, die dachte, sie wäre in Sicherheit« –, »dann bin ich die Story.«
    »Gaby, ich …« Sie bringt es nicht über die Lippen. Es ist ihr zu peinlich. Das Schweigen zwischen uns dehnt sich aus. Ich stelle mir vor, wie sie an einem Tisch hockt und aus dem Fenster auf die geriffelte Wasseroberfläche der Themse blickt.
    Ich denke an den Augenblick vor diesem Anruf. Wie konnte ich mir einbilden, ich könnte zur Arbeit zurückkehren, ich könnte weitermachen, als wäre alles ganz normal? »Es spielt keine Rolle, dass ich unschuldig bin. Es ist die falsche Art von Publicity. Die Sendung geht vor«, sage ich. Feststellungen, keine Fragen.
    Die Erleichterung ist ihr deutlich anzuhören. »Ruh dich ein paar Tage aus, kläre die Sache mit der Polizei, sprich mit Alison Brett, mach Schadensbegrenzung. Ich halte dich auf dem Laufenden.«

    » TV -Gaby verliert die Nerven«, »Gaby Mortimer in polizeiliche Ermittlungen verwickelt«, » Mornin’ All : Moderatorin in U-Haft«. Am schlimmsten: »Gaby schlägt um sich«. Auf dem Foto habe ich die Zähne entblößt wie ein Kampfhund, wie so ein Rottweiler, der Kinder zerfleischt. Eine Nahaufnahme zeigt das Schienbein, mit dem mein »brutaler Fuß« in Kontakt gekommen ist: ein blauer Fleck, groß wie eine Zwetschge, und eine hässliche Beule. Der fragliche Reporter »hat sich in ärztliche Behandlung begeben«. Gütiger Himmel.
    Ich gehe wieder ins Bett. Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. Mein Leben, das mir so solide, so undurchdringlich erschien, zerrinnt mir zwischen den Fingern. Ich habe ein Gefühl, als würde ich fallen, ohne dass ich mich irgendwo festhalten kann. Diese Mordermittlungen haben alles in Mitleidenschaft gezogen. Sie haben mich nackt ausgezogen. Wer bin ich? Wer sind meine Freunde? Ich dachte, ich wäre ein netter, freundlicher Mensch, eine Frau, die von anderen gemocht wird. Darin habe ich mich sicher gefühlt. Und es ist mir wichtig. Das merke ich jetzt. Mir liegt etwas daran, was die Leute denken. Ehrlich. Ich bin großzügig zu den Menschen, mit denen ich es zu tun habe, den Leuten am Empfang, den Regieassistenten und den Stylisten. Bei Stan beiße ich mir auf die Lippen. Er kann mir nicht das Wasser reichen; in hundert Jahren nicht. Ich bin verdammt charmant.

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