Ich bin unschuldig
Holzpfosten schlage ich mir die Schulter an. Eine Schürfwunde, die wahrscheinlich auch blutet, aber das ist mir egal. Im Durchgang verharre ich kurz. Keine Taschen, also lege ich den Schlüssel auf die Gartenseite und ziehe die Tür bei. Es sieht aus, als wäre sie abgeschlossen; niemand wird was merken. Das Haus braucht, wenn ich nicht drin bin, nicht gesichert zu sein wie eine Festung.
Das Stampfen auf dem Gehweg, das vibrierende Stoßen meines Atems. Ich fühle mich nicht besonders wohl – ich trage den falschen BH , der Bügel schneidet mir in die Achsel, und ich habe dieses seltsame Zähneklappern, das ich manchmal bekomme, wenn ich laufe. Dauernd rutscht mir die Mütze in die Stirn. Ich lasse sie, bis ich durch einen Schlitz nur noch Füße und kiesige Erde sehen kann, dann schiebe ich sie wieder hoch, und dann wartet sie ein Weilchen, ein Dunst kratziger Wolle, bevor sie sich wieder in Bewegung setzt. Sobald ich auf dem Common bin, verändert sich meine Stimmung. Es ist das erste Mal seit Ewigkeiten, dass ich draußen bin zum Laufen und mir keine Sorgen darüber mache, was Philip denkt oder fühlt. Heute ist es mir egal, und das ist befreiend. Frische Luft füllt meine Lunge – so frisch, wie sie auf dem Wandsworth Common eben sein kann. Der Diesel von den Zügen und dem Straßenverkehr vermischt sich mit dem Aufplatzen der Blattknospen, dem Sprießen der rosa Blüten. Über mir gurren Ringeltauben, in den Sträuchern schießen Blaumeisen unter wildem Gezwitscher hin und her.
Es ist nicht viel los hier draußen. Die Zeit ist gut gewählt – nach dem Fußballklub, vor dem Nachmittagsspaziergang. Zudem ein trüber Tag, ein Tag, um zu Hause zu puzzeln oder ins Einkaufszentrum zu gehen. Eine Schicht flüchtiger grauer Wolken über der anderen, bleierne Düsternis. Ich denke daran, wie wir letztes Jahr an Ostern auf dem Heimweg von Nevis in Heathrow aufsetzten, aus dem ganzen Licht und dem überwältigenden Blau bis zum Horizont durch die schmutzige Wolkenschicht stießen und in der flachen Schwarz-Weiß-Welt von Hounslow und Slough landeten. Die Frau neben mir, eine Amerikanerin, sagte: »Können die Menschen in so einer Dunkelheit überhaupt überleben?« Ja, sie können. Wir können.
Es tut gut, den Kopf frei zu bekommen. Ihn frei zu halten. Lass die Beine arbeiten, denk nicht nach. Über die Brücke und den Pfad runter an der Eisenbahn vorbei. Seit ich das letzte Mal hier war – seit dem Morgen vor zwei Wochen –, haben sie den Belag erneuert. Glatter Teerbelag, leicht unter den Füßen, Lakritzblasen aus Teer zwischen dem Unkraut. Ende des Steuerjahres – der Stadtrat braucht sein Budget auf, bevor die Regierung es sich unter den Nagel reißt. Vom Fußballfeld zu meiner Rechten dringen Rufe an mein Ohr – behaarte Männer in kurzen Hosen, die johlen. »Rein. Gib ihn ab. Russel, hi-er.« Zwei Silben für »hier«.
Ich schaffe meine gewohnte Runde. Ich habe den Common von einer Straße zur anderen überquert – 2,5 Kilometer, einmal drum herum –, und ich laufe zügig an den Gleisen entlang, nähere mich von Neuem der Brücke, die Mütze ist mir wieder über die Augen gerutscht, als hinter mir Schritte schaben, Münzen klimpern. Ich werde schneller, denn ich gehe davon aus, dass ich ihn abhängen kann, doch die Schritte werden ebenfalls schneller. Ich verlangsame. Manche Läufer mögen den Windschatten anderer Läufer nicht – die Raser unter den Läufern. Doch ich höre kein zufriedenes Einatmen, kein stoßweises Ausatmen. Es ist ein Mann. Ich höre ihn atmen. Die Atemzüge eines Menschen haben eine bestimmte Tonhöhe; ich habe Zeit, darüber nachzudenken. Ich bin noch hundert Meter von der Brücke entfernt. Fliehen oder kämpfen? Ist das nichts? Oder alles? Ist es der Augenblick, den ich gefürchtet habe? Ich könnte weglaufen. Ich schiebe mir die Mütze aus den Augen. Oder …
Ich bleibe stehen und drehe mich um. Ein Fuß zeigt noch nach vorn, eine komische Umkehrung eines Kavalierstarts.
»Tut mir leid.« Er ist fast bei mir. Er wedelt mit den Armen wie Woody Woodpecker. »Tut mir leid.«
»Sie«, sage ich. »Schon wieder.«
»Gott. Ich verdammter Idiot. Tut mir leid.« Er schlägt sich mit beiden Händen an den Kopf, solche Vorwürfe macht er sich. Oder … die Geste verwandelt sich von einem Schlagen zu einem Streichen – um seine übermütigen Locken zu bändigen.
»Was wollen Sie? Mich umbringen?«
»Nein, natürlich nicht. Nein. Habe ich …? Ich habe die falschen Schuhe
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