Ich bin unschuldig
an.«
»Um mich umzubringen?«
»Nein, zum Joggen. Und Sie sind verdammt schnell. Gut im Training, was? Ich dachte, ich warte, bis Sie an der Brücke sind, da gehen Sie vielleicht rüber – wegen des Geländers –, und das wäre dann vielleicht ein guter Zeitpunkt, um Sie einzuholen.«
Ich mustere ihn. Jack Hayward, ich erinnere mich an seinen Namen. Nette Stimme mit leichtem Yorkshire-Einschlag. Anzug, darüber eine dünne Regenjacke.
»Warum wollen Sie mich einholen? Sind Sie mir gefolgt?«
»Nein. Nein, natürlich nicht. Tut mir leid. Nein. Bin ich nicht. Ich meine, ich war vor Ihrem Haus, aber ich bin für eine Tasse Tee und einen Pfannkuchen über den Common gekommen, da habe ich Sie laufen gesehen und habe auf der Bank da gewartet. Ich wollte Sie nicht beim … Fithalten stören.«
Ich gehe jetzt, und zwar ziemlich schnell. »Fithalten!«, sage ich über die Schulter. »Wie alt sind Sie … sechzig?«
»Sagt man nicht mehr ›Fithalten‹? Okay, wie sagt man denn dann? Ich wollte Sie nicht beim Joggen stören?«
»Nein.«
»Wie, joggen wir nicht mehr?«
»Joggen ist auch out. Es heißt Laufen, selbst wenn man joggt.«
»Okay, wollte Sie nicht beim Laufen stören.«
Wir haben die Brücke erreicht, und ich wende mich um. »Also, dazu ist es jetzt zu spät.«
Er streckt in einer Geste der Kapitulation die Hände aus. »Fünf Minuten«, sagt er. »Geben Sie mir nur fünf Minuten.«
»Nein. Tut mir leid.«
Ich gehe weiter. Aber ich laufe nicht. Das ist interessant.
Er hält Schritt. »Ich weiß, dass Sie Journalisten für Abschaum halten.«
»Ich halte niemanden für Abschaum.« Tiere, hat Caroline Fletcher sie genannt. »Ich bin selbst Journalistin. So etwas würde ich nie sagen.«
»Aber wir sind nicht alle schlecht«, fährt er fort. »Ich meine, ein paar von uns schon. Ich wahrscheinlich.« Er hat eine kleine Rede vorbereitet und sie mit Selbstironie gewürzt. »Aber seit der Sache mit Leveson benehmen wir uns besser. Wir zapfen nicht Ihr Telefon an. Wir klopfen nicht mal an Ihre Tür. Wir lungern nur herum, warten, leben in Hoffnung.«
Er seufzt, nicht gerade voller Hoffnung, eher voller Enttäuschung. Vielleicht klang die Rede in seinem Kopf besser.
»Ich weiß, dass Sie hinten rausgehen«, fügt er hinzu. »Ich habe heute Morgen gerade eingeparkt, da sah ich Ihre Tochter mit dieser Frau weggehen.«
Mein Kopf fährt abrupt herum. »Sie haben sie gesehen?«
»Keine Sorge. Ich habe es den andern nicht verraten.«
»Rücksicht oder Eigennutz?«
Er lacht. »Ein bisschen von beidem.«
Das Eingeständnis von Uneindeutigkeit, die humorvolle Selbsterkenntnis sind wie eine Salbe. Ganz direkt und geradlinig sind unsere Motive nie. Ich denke an Claras Vorschlag, meine Geschichte an einen zu verkaufen, um die anderen loszuwerden. Funktioniert diese Taktik? Ich weiß nicht. Ich würde ja Alison Brett fragen, wenn sie denn das geringste Interesse an den Tag legen würde, doch danach sieht es nicht aus. Um meinen Ruf geht es ihr eh nicht; ihr geht es allein um die Sendung. Wer Ania Dudek umgebracht hat, ist ihr egal. Ich stehe allein, aber wenn ich rehabilitiert werden will, muss ich etwas dafür tun, sonst werde ich nie wieder die nette Gaby Mortimer sein.
Wir kommen an einem Gerät des Trimm-dich-Pfads vorbei: Direkt neben dem Weg in der Nähe des Teichs befindet sich eine waagerechte Holzbohle auf zwei Stützen, an der man Situps machen kann. Ich gehe hinüber, lasse mich darauf nieder und sage: »Fünf Minuten. Nicht um zu reden. Das hier ist ganz inoffiziell. Sie haben fünf Minuten, um mich zu überzeugen.«
Mit einem Seufzer, der, wie ich nur vermuten kann, wachsende Hoffnung ausdrückt, setzt er sich neben mich. Seine dünne Regenjacke bläht sich auf wie eine Schwimmweste. Er bekommt sicher Moosflecken am Hintern seiner Anzughose. Dass er es gar nicht zu merken scheint, rührt mich seltsam an.
»Also, hören Sie«, setzt er an. »Ich glaube, Sie sind unschuldig.« Das sagt er mit so ernster und aufrichtiger Miene, dass ich lachen muss. Er grinst, dass seine Augen ganz verschwinden und tiefe Lachfalten um seinen Mund entstehen. »Geben Sie mir ein Interview, dann sehen andere das auch. Ich kann Ihnen helfen, es zu beweisen.«
»Dafür habe ich eine Anwältin.«
»Na ja«, er zuckt zusammen, »nicht wirklich. Caroline Fletcher ist nur die Pflichtverteidigerin.«
»Caroline Fletcher?« Ich bin verblüfft, ja, regelrecht erschüttert, dass er ihren Namen kennt.
»Was meinen Sie wohl,
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