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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Durrant
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Fragen. Wie lange hat Ania bei ihr gewohnt? (Sechs Monate.) Wie lange hatten sie sich vorher schon gekannt? (Seit Kindertagen.) Er nimmt sich eine Tart, steckt sie ganz in den Mund und schluckt mit leicht erschrockener Miene – sie ist größer, als er gedacht hat. Danach wischt er sich die Lippen mit einer Papierserviette ab. »War sie teuer, die Wohnung, die sie gefunden hat?«, fragt er.
    Sie zuckt die Achseln. »Sie hatte viele Jobs, und sie hoffte, als Lehrerin Arbeit in einer guten Schule zu finden, wenn sie ihre Ausbildung beendet hatte. Aber es ist eine sehr kleine Wohnung, also ist sie wahrscheinlich nicht so teuer. Sie hat einen Schrank hier mit einigen ihrer Sachen – Bücher, Unterlagen, ihre alten Kalender –, die sie nicht mehr brauchte.« Sie unterbricht sich und wirkt einen Augenblick ganz verloren. »Die sollte ich wohl zu ihren Eltern nach Lodz schicken.«
    Ihre Eltern. Ihre armen Eltern. Der Gedanke ist unerträglich. Ich muss zurück zur Arbeit und mein normales Leben wieder aufnehmen, um all das hier zu vergessen. Ich hätte im Auto sitzen bleiben sollen.
    Doch Jack sieht sie aufmerksam an. »Können wir sie sehen? Die Kalender, meine ich?«
    »Vielleicht.« Sie klingt zögerlich. Bedrängt er sie zu sehr?
    »Ihr Freund?«, frage ich und zwinge mich, mich zu konzentrieren. »War er gut?«
    »Ja. Nein.« Sie beißt sich wieder auf die Unterlippe. »Gut? Ich weiß nicht.«
    »Schlecht?«, wirft Jack ein.
    »Tolek, er hat Ania sehr, sehr geliebt.« Sie wischt sich unsichtbare Krümel von den Knien. »Zu sehr.«
    »Was meinen Sie damit?«, fährt Jack auf.
    Sie mustert mich, als überlegte sie scharf. Schließlich sagt sie schnell: »Er wollte Ania bald heiraten, aber sie sprach von Karriere, vom Unterrichten. Tolek, er ist gut mit den Händen, ein netter Mann. Er wollte eine Frau, die ihn so liebte, wie er sie liebte. Es war schwierig.«
    »Hat er sich auf das Baby gefreut?«, frage ich.
    »O ja«, sagt sie vage. »So besorgt, als Ania fürchtete, schwanger zu sein. Leichte Blutung. Große Erleichterung für Ania und den Vater des Babys, als der Ultraschall ergab, dass es okay war.«
    Ich sehe, dass Jack zusammenzuckt. Er begegnet meinem Blick. Es ist ihm auch aufgefallen. Seltsame Formulierung. Nicht Tolek. Der Vater des Babys.
    »Haben Sie Toleks Telefonnummer?«, fragt Jack. »Wir würden sehr gern mit ihm sprechen.«
    »Sein Englisch ist nicht gut. Er war in Polen, als sie starb. Er ist sehr wütend und fühlt sich schuldig.«
    »Sind Sie sicher, dass er in Polen war?«, fragt Jack.
    Sie rutscht ein wenig auf ihrem Stuhl herum, windet sich. »Ja. Er ist sehr wütend auf die Polizei, die immer nur Fragen stellt.«
    »Wütend?«, hakt Jack nach. »Obwohl er unschuldig ist? Was meinen Sie damit, wütend?«
    »Er ist Klempner, ein hart arbeitender Mann«, sagt sie rätselhaft. Sie fährt mit den Händen an den Unterarmen rauf, als wollte sie unsichtbare Ärmel hochschieben, eine Geste, die mir verrät, dass sie gern gehen würde. Sie ist verunsichert. Sie richtet den Blick überallhin, nur nicht auf uns.
    Der alte Mann am Nebentisch ist aufgestanden, und ich ziehe meinen Stuhl ein Stück vor, damit er vorbeikommt. Christa starrt auf die Zeitung, die er auf dem Tisch liegen gelassen hat. In der unteren rechten Ecke ist ein winziges, briefmarkengroßes Foto von mir.
    Christa schaut auf und begegnet meinem Blick. Sie steht auf. Sie möchte raus an die frische Luft, doch Jack klammert sich an seine leere Tasse. Er hat noch eine Frage. »Hatte Ania in letzter Zeit mehr Geld? Ihre Arbeitgeber fanden, sie habe einen kostspieligeren Lebensstil gepflegt: neue Kleider, Unterwäsche, Schmuck.«
    »Ania hat hart gearbeitet«, sagt sie. »Sehr zielstrebig. Sie wollte immer das Beste.«
    »Tolek?«
    »Er verdient gutes Geld«, sagt sie nachdrücklich. »Die Leute in South London«, sie zeigt vage in die Richtung von Wandsworth, »wollen immer neue Badezimmer.«

    Wir begleiten Christa wieder den Hügel hinauf und verabschieden uns an ihrer Wohnungstür von ihr. Ich umarme sie noch einmal. »Wenn Sie es herauskriegen«, meint sie, »sagen Sie es mir.« Ihr Mund wird zu einem grimmigen Strich. Sie nickt, kämpft gegen die Tränen.
    »Das verspreche ich Ihnen«, sage ich und nicke ebenfalls, und in diesem Augenblick würde ich die Antwort sehr gern finden, für Christa, Anias Freundin, wenn für niemanden sonst.
    Jack fummelt an seinem Handy herum. Er überprüft etwas. Ich sage nichts. Ich gehe nur den Hang

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