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Ich bin unschuldig

Ich bin unschuldig

Titel: Ich bin unschuldig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Durrant
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Groß. Meine Mutter hatte alle Hände voll zu tun. Sie war sehr rechthaberisch.«
    Sie lächelt kleinlaut, und ich frage, ob sie ein hübsches Kleid getragen habe, und den Rest des Weges beschreibt sie es mir – die Tülllagen des Rocks, das Spitzenmieder und die dekorative Perlenstickerei. Ich erwähne, dass ich in einer Zeitschrift ein Kleid gesehen habe mit einer Stoffblume an einer Hüfte, und Christa sagt lebhaft: »Ja, ja, genau. So war mein Kleid auch.«
    »Wie schön«, sage ich. »Sie können sich sehr glücklich schätzen. Meins war ein billiges altes Ding.«
    »Haben Sie kürzlich geheiratet?«
    »Nein!« Ich lache. »Das ist schon lange her.«
    »Und Ihre Mutter, war sie rechthaberisch?«
    »Nicht besonders«, antworte ich lächelnd.
    Sie reibt sich die Augen mit den Knöcheln der Hand. Gänsehaut überzieht ihre Brust.
    »Ist Ihnen kalt?«, frage ich.
    Sie reibt sich lachend die Arme. »Mein Mantel ist in dem Zimmer, wo Pawel schläft.«
    Das Café liegt am Ende einer Ladenreihe zwischen einem edlen Floristen und einer Bäckerei. Drinnen duftet es nach Speck, frischem Kaffee und getoasteten Käsesandwiches. Am Fenster ist gerade ein Tisch frei geworden, und Jack springt hin, um ihn uns zu sichern. Zwei Frauen mittleren Alters bemerken mich – ich sehe etwas Kompliziertes in ihren Augen aufscheinen –, und ein alter Mann, der Zeitung liest, hebt den Blick und sieht zu schnell wieder weg. Es macht mich nervös und raubt mir gleichzeitig jegliche Kraft. Doch Christa und ich sind jetzt am Kopf der Schlange, und ich bestelle mehrere Törtchen – sie sieht aus, als müsste sie aufgepäppelt werden –, eine Kanne Tee, einen Cappuccino und auf Zuruf von Jack einen doppelten Espresso.
    In dem Moment, als wir uns setzen, beugt er sich vor und räuspert sich. Er hat eine Weile nichts gesagt. »Wegen dieses Erinnerungsbuches«, beginnt er.
    »Ja.« Christa nimmt Platz. »Ich weiß nicht genau, was Sie damit meinen.«
    »Es ist so etwas wie ein Sammelalbum«, erklärt er.
    »Ein Sammelalbum?« Sie nimmt mit einem Löffel ein wenig Schaum und schluckt ihn runter.
    »Ja. Ein Buch, in das man Fotos und Erinnerungen an einen Menschen klebt.«
    »Nein, das ist es nicht«, werfe ich ein.
    Die beiden sehen mich an.
    »Ich meine, das ist es schon, aber deswegen sind wir nicht hier. Jack ist ein richtig guter Journalist, und er möchte für eine Zeitung einen Artikel über Ania schreiben, wie sie war und was womöglich passiert ist. Dass ich sie gefunden habe, war Zufall. Es hätte jeder sein können. Aber weil ich sie gefunden habe, fühle ich mich irgendwie verantwortlich. Ich weiß nicht, ob Sie das nachvollziehen können. Ich würde gern herausfinden, wie sie gestorben ist.«
    »Sie war sehr, sehr nett. Sie hätte … wie sagt man? Sie hätte keiner Fliege etwas zuleide getan.«
    Jack sieht sie an. »Dann macht es Ihnen nichts aus, mit mir über sie zu reden?«
    »Sie sind nette Menschen. Ob sie so ein Buch machen oder für die Zeitung schreiben, ich weiß, dass Sie die Wahrheit sagen.« Mit langen, schmalen Fingern nimmt sie eine Custard Tart und beißt ein wenig ab.
    »Die Wahrheit ist immer das Beste«, sage ich und sehe Jack an.
    Er lächelt dümmlich.
    »Die Leute, bei denen sie gearbeitet hat, haben gesagt, sie ist mit den Kindern oft in den Richmond Park gegangen«, sagt er.
    »Ja.« Sie legt die Hand über den Mund, während sie schluckt. »Verzeihung. Sie hat den Park geliebt. Als sie letzten Sommer bei mir wohnte, sind wir jeden Tag hingegangen. Sie ist mit den Kindern an den Teich gegangen, und danach haben wir uns hier zu Tee und Kuchen getroffen, Ania und Mollie und der kleine Alfie.«
    »Hat er Sie gebissen?«, frage ich.
    Jack stößt etwas aus, was verdächtig nach einem Lachen klingt.
    »O ja«, sagt Christa. »Ania sagte, er könne ein sehr ungezogener Junge sein, aber bei ihr war er immer brav. Alle Kinder sind brav bei Ania. Waren«, fügt sie hinzu und beißt sich auf die Unterlippe. Was wäre, wenn ich Ania eingestellt hätte und sie unser Kindermädchen geworden wäre? Wäre es auch passiert, wenn sie bei uns eingezogen wäre? Mir wird eng um die Brust. Der Schmerz, Millie zu vermissen, und der Schmerz um Anias Tod scheinen sich einen Augenblick lang zu vermischen. Ich kann das eine nicht von dem anderen trennen. Es ist wieder der Katzentraum, das überwältigende Bedürfnis, etwas in Sicherheit zu bringen, die verzweifelte Angst davor, dass es mir nicht gelingt.
    Jack stellt ihr weitere

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