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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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und sich nie mehr loslassen wollten …
    Am nächsten Morgen erinnerte Atara Mila beim Aufwachen an die Nachforschungen, die sie anstellen mussten. Mila nickte ernst. Am Vormittag putzten sie die Wohnung, doch nach dem Mittagessen ermunterte Hannah die Mädchen, in den Park zu gehen, um ihn noch einmal in Ruhe genießen zu können, bevor die Kinder, die während Hannahs Bettlägrigkeit auf mehrere orthodoxe Familien verteilt worden waren, zurück nach Hause kamen.
    Kaum waren die Mädchen aus dem Haus getreten, schlug Atara die Bibliothek vor. Mila nickte, doch als sie in die Rue Soufflot kamen, die zur Bibliothèque Sainte-Geneviève führte, hakte Mila sich bei Atara unter und zog sie in Richtung Jardin du Luxembourg.
    Zum ersten Mal seit Jahren betraten sie den Park ohne Kinderwagen oder kleine Geschwister im Schlepptau. Sie fühlten sich übermütig und auch ein wenig schuldbewusst, dass sie nur zu zweit durch die Kastanienallee schlenderten. Das Winterende lag bereits in der Luft. Sie beugten sich über die Balustrade am Teich. Tauben wärmten sich, die Federn um die kleinen Köpfe aufgestellt, im Sonnenlicht. Die Senatsuhr schlug die Stunden, und die Mädchen wünschten sich, es würde immer so bleiben: Sie beide zusammen, hier draußen im Park, wo sie dem Wechsel der Jahreszeiten zusehen konnten.
    Als der letzte Glockenschlag verklungen war, begann Atara zu reden. »In ganz Paris, in ganz Frankreich gibt es niemanden, dessen Familienstammbaum gut genug für Zalman Stern ist. Wenn wir verheiratet werden, dann weit weg von Paris …«
    »Niemand wird uns ohne unsere Zustimmung verheiraten.«
    »Aber wir haben gar keine andere Wahl, als zuzustimmen. Mila … wenn ich den Mut hätte … wenn ich den Mut hätte, das Baccalauréat machen und dann studieren würde, würdest du …«
    »Den Mut zu studieren? Es ist mutig, Jüdin zu bleiben.«
    »Aber wenn ich studieren würde und mein Vater nichts mehr mit mir zu tun haben wollte, würde ich dich dann auch verlieren?«
    Mila schritt auf die großen Pflanzenkübel zu, die von Gärtnern in blauen Arbeitshemden aus der Orangerie gekarrt wurden. »Palmier-dattier, Laurier-rose, Grenadier …«, las sie die Namen auf den Plaketten vor. Dann drehte sie sich zu Atara um. »Wenn meine Eltern auferstehen, sollen sie mich als Jüdin wiedererkennen. Ich will, dass sie meine Kinder erkennen, und ich will, dass sie deine Kinder erkennen.«
    »Und wenn deine Eltern nicht … wenn der Messias nicht während deiner Lebenszeit kommt?«
    »Aneini! Bitte antworte mir!«, rief Mila zum Himmel. Ihre Arme flogen hoch, und sie drehte sich auf den Zehenspitzen vor einer Rabatte aus blauen, weißen und roten Tulpen, den Farben Frankreichs, die lange Schatten auf den frisch eingesäten Rasen warfen. »Der Messias wird kommen, und wir werden nach Jerusalem fliegen …«
    Die Gärtner mit ihren Schubkarren voller Pflanzenkübel drehten sich zu ihr um und pfiffen anerkennend. Milas Rock reichte bis übers Knie, und ihre Bluse war bis zum Hals zugeknöpft, doch mit der schlanken Taille und der Hochsteckfrisur wirkte sie sehr anmutig. Mila und Atara hakten sich unter. Sie hüpften durch die Kastanienallee und aus dem Luxembourg-Park heraus; sie hüpften über die Bordsteinkanten der Rue Servandoni, über den Boulevard Saint-Germain und die Rue de Seine entlang. Oben auf der Pont des Arts blieben sie stehen. Sie beugten sich übers Brückengeländer und streckten die Handflächen den ersten Regentropfen entgegen. Der Himmel öffnete seine Schleusen, und sie wirbelten herum wie Kinder, streckten die Arme weit von sich und spürten mit den Zungen dem Geschmack der Wolken auf ihren Lippen nach. Die Straßenlaternen glitzerten wie Sterne … Atara flog davon, über den Fluss und die Dächer und über alle Grenzen dieser Welt, die sie einengen wollten, hinaus. Mila wirbelte schneller und schneller, bis sie zu Boden sank und vor lauter Schwindel nicht auf Ataras Rufen reagieren konnte. Als sie ihre Augen wieder öffnete, stand nicht wie bei Atara die Trunkenheit des Übermuts darin, sondern Schuldbewusstsein: Sie, Mila, hatte überlebt, sie lebte. Atara fuhr mit den Fingern durch Milas zerzauste Haare und kämmte sie in eine Richtung, aus der sie immer noch ein Entkommen erhoffte.
    Auf dem Quai de la Mégisserie holten die Ladenbesitzer die Käfige mit zwitschernden Vögeln herein. Rollläden ratterten nach unten. Es war spät. Sie würden am nächsten Tag in die Bibliothek gehen. Atara und Mila rannten

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