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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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einer gemeldet, um zu Kasztners Gunsten auszusagen und ihn zu entlasten. Niemand wollte zu den Prominenten gehört haben, die Kasztner ihr Leben verdankten.
    Kasztner bat darum, den Großrabbiner Joel Teitelbaum, den Rebbe der Satmar-Chassidim, als Zeugen zu berufen, doch dieser lehnte ab. »Nicht Kasztner hat mich gerettet, sondern Gott«, erklärte der Rebbe.
    Der Satmarer Rebbe war in Kasztners Zug gewesen! Wieder wollte Atara zu Mila laufen, doch Mila würde nur wütend werden, wenn Atara andeutete, dass der Rebbe mit zionistischen Kreisen in Verbindung stand. Sie brauchte noch mehr Informationen und las weiter.
    Die Zeitung zitierte den Urteilsspruch des Richters: Kasztner habe seine Seele dem Teufel verkauft, als er die Massen ungarischer Juden für ein paar Auserwählte opferte.
    In einem Leitartikel wurde aufgeführt, dass sich in Kasztners Verhalten bei den Verhandlungen mit Eichmann die Einstellung vieler jüdischer Führer spiegle, die sich auf die von den Nazis praktizierte Unterscheidung zwischen Elitejuden und der breiten Masse einließen. In Ungarn war dieses Verhalten besonders problematisch, denn dort wussten die jüdischen Führer bereits, wohin die Viehwaggons fuhren: Im April 1944 hatten Rudolf Vrba und Alfred Wetzler, zwei Auschwitzflüchtlinge, die ungarische Führung über die Krematorien informiert.
    Atara hörte auf zu lesen. Hatte der Satmarer Rebbe es auch gewusst? Hatte er seine Gemeinde gewarnt, bevor er selbst geflüchtet war? Sie überflog die eng gedruckten Zeilen nach den Worten Joel Teitelbaum, Szatmár, Satmar, Satmarer Rebbe …
    Ein erstes Kontingent aus 388 Juden, die unter den 18 000 im Ghetto von Cluj (Kolozsvár) in Siebenbürgen auserwählt worden waren …
    Kolozsvár, Milas Heimatstadt.
    Wenn der Rebbe zum Kontingent aus Kolozsvár gehört hatte, war es möglich, dass Milas Mutter ihn gesehen hatte.
    Auf der Fähre nach Calais gab Atara ihre letzten Münzen für eine Zeitschrift aus.
    Das Kontingent aus Cluj erreichte Budapest am 10. Juni 1944 und wurde in einem bewachten Lager für »Bevorzugte« im Hof des Taubstummen-Instituts Wechselmann in der Kolumbusgasse untergebracht.
    Der 10. Juni 1944 war ein Sabbat, doch der Rebbe der Satmarer Chassidim, Joel Teitelbaum, wollte seinen Gebetsschal und die Gebetsriemen auf dem Weg vom Bahnhof in die Kolumbusgasse nicht tragen …
    Der Rebbe hatte zu dem Kontingent gehört, das Kolozsvár verlassen hatte.
    Atara stand auf. Sie wollte sich bei Mila dafür entschuldigen, dass sie Zweifel an der Geschichte über den Tod ihrer Mutter gehabt hatte, obwohl es Mila so wichtig war, dass sie ihr glaubte: Ihre Mutter sei auf den Rebbe zugelaufen …
    Mila saß auf einer Bank in der Passagierkabine der Fähre und las in dem Buch Die Leben unserer Heiligen Rebbes. Als Atara ihren Namen rief, blickte sie auf und runzelte beim Anblick des Zeitungsstapels in Ataras Händen die Stirn. Genau in dem Moment forderte eine Ansage aus dem knisternden Lautsprecher die Passagiere auf, ihr Gepäck zu nehmen und sich für die Zollabfertigung vorzubereiten. Durch die großen Kabinenfenster sah Atara, wie die Decksarbeiter das Schiff am Dock festmachten. Sie würde warten müssen, bis sie mit Mila sprechen konnte.
    Mit ihren Staatenlosenausweisen als Passersatz in den Händen, gingen die Mädchen auf die Zollbeamten zu. Wie immer bei Grenzüberquerungen klopfte Ataras Herz aufgeregt, doch ihre Gedanken schweiften bald wieder ab. Sicher würde es Mila viel bedeuten, dass sich die Umstände dieser bestimmten Zugfahrt und des Tods ihrer Mutter klären ließen. Ob diese Information auch ihr Verhältnis zu Mila verändern würde? Wie würde Mila reagieren, wenn sie erfuhr, dass der Rebbe sein Leben einer zionistischen Aktion verdankte, noch dazu ausgerechnet dem Zionisten, der mit Eichmann verhandelt hatte? Ob sie dann Verständnis für Ataras Zweifel hätte und selbst die Unfehlbarkeit des Rebbe in Frage stellen würde?
    Auf der Zugfahrt von Calais nach Paris setzte sich Atara in der Abgeschiedenheit des Abteils, das sie für sich allein hatten, neben Mila und nahm ihre Hand. Sie zeigte ihr das Foto von den offenen Viehwaggons und entschuldigte sich dafür, dass sie Milas Erzählungen vom Tod ihrer Mutter nicht geglaubt hatte.
    Mila starrte auf das Foto.
    »Es war ein Sonderzug«, erklärte Atara, »deshalb haben sie die Türen offen gelassen. In dem Zug saßen die Prominenten, und der Rebbe war einer von ihnen. Er gehört zu dem ersten Kontingent, das aus

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