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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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retten, hat er genau das getan, was er den Zionisten vorwirft, die sich junge Männer als Pioniere für ihre Vision des Judentums suchen. Wenn man es genau nimmt, haben die Zionisten ihren Erzfeind gerettet, den Rebbe von Szatmár, während er nur sich selbst, seine Frau und …«
    »Ich höre nicht zu. Der Rebbe hat getan, was HaSchem ihm aufgetragen hat.«
    »Ist es dir egal, dass er deinen Großeltern gesagt hat, sie sollten ihre palästinensischen Ausweispapiere zerreißen? Ist es dir egal, dass er sich von einem Zionisten zur Flucht verhelfen ließ?«
    Sie dachten beide an die palästinensischen Ausweispapiere, die sich Milas Großeltern vor dem Krieg beschafft hatten, um sie dann auf Empfehlung des Rebbe hin zu zerreißen. Zalman hatte die Geschichte oft erzählt, damit Mila stolz auf ihre Herkunft sein konnte, auf ihre Großeltern, die in Auschwitz vergast worden waren.
    »Das war vor dem Krieg«, sagte Mila zitternd. »Er hat ihnen den Rat vor dem Krieg gegeben.«
    »Ein schrecklicher Rat. Außerdem hat er jeden aus der Gemeinde verstoßen, der irgendetwas mit Zionisten zu tun hatte, und als es dann für alle zu spät war …«
    »Atara, du wirst wirklich eine apikojreß, ich höre das gar nicht.«
    »… hat er sich in Sicherheit gebracht. Er kam gar nicht auf die Idee zu fragen, warum die Deutschen diesen einen Zug mit auserwählten Juden rausließen. Kann denn ein Mann, der noch nicht einmal so weit gedacht hat, für uns entscheiden …«
    »Es war der Wille des Herrn, dass der Rebbe überlebt.«
    Atara schmetterte ihr kleines Transistorradio auf den Boden.
    Mila starrte mit offenem Mund auf das zerbrochene Plastikgehäuse und den Drehknopf, der unters Bett rollte.
    »Ist es etwa auch der Wille des Herrn und des Rebbe, dass du mich verlässt?«, fragte Atara.
    »Der Rebbe ist nicht verantwortlich für die Gräueltaten der Nazis«, flüsterte Mila.
    Atara stiegen Tränen in die Augen. »Natürlich ist der Rebbe nicht für die Taten der Nazis verantwortlich. Aber ebenso wenig sind es die Zionisten. Der Rebbe hat sich einfach nur verhalten wie jeder andere Mensch, der vor allem eins will: leben. Auch wir könnten leben. Wir müssen weder den Rebbe noch sonst jemanden um Erlaubnis fragen. Mila, wenn ich studieren würde und mein Vater mich für tot erklärte, würdest du mich dann nicht mehr wiedersehen wollen?«
    »Das wirst du nicht tun. Das kannst du deinen Eltern nicht antun. Und mir kannst du es auch nicht antun.« Mila begann ihre Nachtgebete zu sprechen, nach denen es nicht mehr erlaubt war zu reden: »Zu meiner Rechten Michael, zu meiner Linken Gabriel …«
    *
    Mila und Josef hatten sich zehn Jahre lang nicht mehr gesehen. Manchmal hatten Besucher aus Williamsburg Neuigkeiten über ihn mitgebracht: Das gerettete Waisenkind habe seine Bar Mizwa gesungen wie ein echter Chassid; der Waisenjunge lebe in der Jeschiwa in einem Zimmer mit sieben anderen Jungen und verbringe den Sabbat bei Familien in Williamsburg. Ein Besucher gab eine Geschichte zum Besten, von der er nicht wusste, ob sie etwas Gutes oder Schlechtes bedeutete: Ein gefährlich aussehender Hund habe sich einmal in den Hof der Jeschiwa verirrt, und zum Erstaunen aller Beobachter habe Josef das unreine Tier beschwichtigen können.
    Bis auf solche gelegentlichen Nachrichten hatte Mila nur ihre verblassenden Erinnerungen.
    Wäre Josef bei den Sterns geblieben, wären Mila und Josef wie Geschwister aufgewachsen, hätte er sich wie jeder andere Jeschiwajunge verhalten und darauf gewartet, dass man eine Heirat mit einem Mädchen, das er noch nie getroffen hatte, für ihn arrangieren würde. Doch nun hatte Josef auf das kleine Mädchen gewartet, das er als Kind gerettet hatte. Er hatte auf die schöne Mila Heller gewartet, die Paris liebte, aber sich vorstellen konnte, am Hof des Rebbe im amerikanischen Williamsburg zu leben.
    *
    Mila und Josef saßen sich am Tisch gegenüber. Sie war siebzehn, hatte sich die Haare hochgesteckt und ein sittsam-schlichtes, aber modisches blaues Taftkostüm angezogen. Er war zweiundzwanzig, und sein Gesicht unter dem breitkrempigen schwarzen Hut hatte nicht mehr die Farbe von Honig, sondern die Stubenblässe der Jeschiwa.
    Die Tür zum Esszimmer stand einen Spalt breit offen, denn unverheiratete Männer und Frauen durften nicht allein zusammen sein.
    Josef schlug die Augen nicht nieder wie die anderen Jeschiwajungen, sein Blick war offen und direkt.
    »Mila Heller …« Die Stimme klang viel tiefer, als Mila sie in

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