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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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regulierten, obwohl der nie unregelmäßig gewesen war, und sie nahm Mittel, die ihre Eierstöcke stimulierten, obwohl auch die normal funktionierten. Die Medikamente, die Temperaturkurven, das Zählen von blutigen Tagen und reinen Tagen, die minutiösen Untersuchungen verschmolzen zu einem einzigen Versagen: Sie empfing nicht. Mila merkte kaum noch, wenn Josef die Hände nach ihr ausstreckte, spürte seine Sehnsucht nicht mehr, nicht seine Zärtlichkeit und seine Umarmungen.
    Rein: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7.
    Blut.
    Wieder rollte sie sich im Bett zusammen.
    Wie gerne hätte Josef sie in die Arme genommen. Die Ärzte hatten gesagt, dass bei ihr alles in Ordnung sei. Eine Welle von Scham überkam ihn. Er schämte sich für ihre angeschwollenen Fesseln, ihre Übelkeit, ihre Verzweiflung. Wenn er der Unfruchtbare war, nahm sie die Medikamente umsonst, alle diese Mittel, die ihre Stimmung so schwanken ließen. Er verdiente sie nicht, hatte sie nie verdient, ihre Zärtlichkeit nicht und auch nicht ihre Schönheit, die nun ebenfalls um Erlösung flehte. Sehnsüchtig wartete er auf ihr Lachen. Wie lange war es her, dass sie ihn zum Tanzen aufgefordert hatte – Jadidadidam!
    *
    Seid fruchtbar und mehret euch!, so lautete das Gebot. Mila wusste, dass ein orthodoxer Jude nach zehn Jahren unfruchtbarer Ehe nicht länger ignorieren konnte, dass er das Gebot nicht einhielt. »Jetzt sind wir fast zehn Jahre verheiratet«, sagte sie eines Abends zu Josef. »Hat dir schon jemand empfohlen … hat dir schon jemand geraten, dich scheiden zu lassen?«
    »Mich scheiden lassen?«
    »Es ist ein Gebot. Ein Mann muss Kinder in die Welt setzen.«
    Er streichelte ihr Gesicht, küsste ihre Augenlider. »Du nimmst diese Mittel schon viel zu lange. Könntest du dir vorstellen …«
    »Ich werde die Hormonbehandlung nicht abbrechen.«
    Wieder griff Josef nach einer Talmud-Abhandlung und suchte nach einer Klausel, die eine Samenanalyse zulassen würde. Er fand sie auch diesmal nicht:
    Wenn er mit der Hand seinen Penis berührt, soll ihm die Hand auf dem Bauch abgeschnitten werden.
    Würde dann nicht sein Bauch aufgeschlitzt? Lieber ein aufgeschlitzter Bauch …
    Würde ein Dorn in seinem Bauch stecken, müsste er ihn nicht entfernen? Nein.
    … Und warum das alles?
    Samen vergebens zu vergießen, ist gleichbedeutend mit Mord.
    *
    An ihrem zehnten Hochzeitstag schrieb Mila erstmals die Verse ab, die ihre Ehe so sehr belasteten, den Abschnitt aus Genesis, in dem Onan mit dem Tod bestraft wird, weil er seinen Samen auf den Boden fließen lässt. Beim ersten Eintrag in ihr Buch der Tage war die Handschrift noch fest, man erkannte Milas Absicht, eine treue Transkription zu erstellen, doch später, als sie die Verse wieder und wieder abschrieb, begann die Schrift zittriger zu werden, denn Mila hatte begriffen, dass es in dieser Geschichte gar nicht um Onan ging – Onan wurde nur kurz erwähnt und starb dann gleich –, sondern um Thamar. Gesetz und Brauch verlangten, dass Onans Witwe Thamar mit Onans Bruder verheiratet werde, aber ihr Schwiegervater Juda, der ihr das versprochen hatte, hielt nicht Wort. Da sie nicht länger kinderlos bleiben wollte, hatte Thamar ihr Schicksal selbst in die Hand genommen.
    Noch einmal schrieb Mila die Verse ab:
    Da ward der Thamar angesagt: Siehe, dein Schwiegervater geht hinauf gen Thimnath, seine Schafe zu scheren. Da legte sie die Witwenkleider von sich … und setzte sich vor das Tor von Enaim an dem Wege gen Thimnath … Da sie nun Juda sah, meinte er, sie wäre eine Hure … und sprach: »Laß mich doch zu dir kommen« … und kam zu ihr; und sie ward von ihm schwanger.
    An einem Abend der Absonderung saß Josef am abgeräumten Esstisch über einem Talmudband, während Mila in einem Sessel am Fenster in ihrem Mikraot Gedolot las. »Was bedeutet es, dass Thamar vor Enaim sitzt?«, fragte Mila plötzlich. »Gab es tatsächlich einen Ort, der Augen hieß?«
    »Ach, du liest auch über Onan.«
    »Über Thamar. In den Versen heißt es: Thamar saß bepetach enaim.«
    »Eine Lesart lautet: ›Thamar saß in der Nähe des Tors der Zwei Brunnen.‹ Da aber enaim auch Augen bedeutet und petach auch Öffnung, ist die Lesart ›Thamar saß in Nähe des Augenöffnens‹ natürlich auch nicht verkehrt. Im Targum Jonathan heißt es: Sie saß in der Nähe einer Weggabelung, einer Straßenkreuzung, an der man die Augen offenhalten und genau überlegen sollte, welchen Weg man einschlägt.«
    »Und König David stammt von der Thamar

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