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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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würde? Setzte sie bewusst ihr Leben aufs Spiel?
    Als Josef aufblickte, sah er blau schimmernde Stofffalten vor sich; es war Milas blaues Taftkostüm, das sie am Tag ihrer Wiederbegegnung getragen hatte, als sie sich am Esstisch in der Rue de Sévigné gegenübersaßen; es waren die Falten von Marias Mantel … Er befand sich in einer Kirche! Wild ruderte er mit den Armen, als hätten sie sich in Marias Mantel verfangen, seine Hand schlug gegen das steinerne Weihwasserbecken, das zu dem Weihwasserbecken wurde, in das Florina zwei Finger tauchte, um seine Stirn mit heiligem Wasser zu benetzen … Leben, Anghel, du sollst leben.
    Die Arme untereinander verschränkt, marschierten die Demonstranten jetzt in Reihen zu dreißig Personen hinter den roten und schwarzen Flaggen her. Aus tausend Kehlen erklang ein Lied: »Debout les damnés de la terre!« Mila kannte den Text der »Internationale« nicht, doch sie verstand die Aufforderung, endlich aufzuwachen. Jetzt hörten sie das Trampeln von Stiefeln. Mila hielt sich in ihrer Reihe fest, lief mit den anderen einfach immer weiter über die Pflastersteine, bis sie auf Schilde und Helme stießen. Aus einer Seitenstraße kam eine andere Gruppe marschiert und schloss sich ihnen an: »Libérez nos camarades!« Mila brüllte ihren eigenen Schlachtruf: »E-na-im!« Ihre Augen tränten vom beißenden Rauch. Ein Stoß warf sie zu Boden, ein schwingender Knüppel, ganz knapp, der Saum ihres Rocks riss auf, Hut und Perücke verrutschten, saßen einen Moment lang schief und waren verschwunden. Arme griffen nach ihr, zogen sie hoch und weg … eine Treppe, eine Terrasse, von der man über Rauch und Lichtblitze hinwegblickte …
    »Desinfektionsmittel! Pflaster!«
    Ein junger Mann wickelte sich den roten Schal vom Hals und kniete neben Mila nieder. Milas Blick blieb an dem roten Schal hängen.
    … Und als sie » Thamar« jetzt gebar, tat sich eine Hand heraus. Da nahm die Wehmutter einen roten Faden und band ihn darum …
    Nachdem er den Schal um die Schnittwunde an ihrer Ferse gewickelt hatte, fuhr der junge Mann mit der Hand über Milas Haarstoppeln. »Wie die Muse von Br â ncu ş i: glatt und wie aus einem Guss. Perfekt und wunderschön!«
    Mila begriff, dass ihre Perücke verschwunden war, und wurde tiefrot.
    »Genossen!«, rief der junge Mann und hielt ihr die Hand hin.
    »Révolution est belle!«, flüsterte jemand.
    Milas Arme fuhren hoch. Sie schlug die Hände schützend über den Schädel und humpelte hastig die Stufen hinab.
    »Bleib hier!«, riefen die Studenten.
    Der junge Mann legte die Hand auf ihre Schulter und wollte sie zurückhalten. »Nach einer Demonstration knüppeln die Schweine jeden nieder, der ihnen in die Quere kommt.«
    »Ich muss«, sagte Mila.
    »Dann komme ich mit.«
    »Nein!«, erwiderte sie barsch. Sie neben einem schejgez! Undenkbar! Was für ein Schock für Josef und Zalman! »Ich wollte sagen … bleibe bei der Demonstration. Ich finde allein nach Hause.«
    Der junge Mann zögerte.
    »Bitte!«, flehte sie.
    Er trat zurück. »Vergiss nicht: Morgen um 15 Uhr vor der Sorbonne. Zieh flache Schuhe an, dann kannst du schneller wegrennen. A demain! « Er küsste erst ihre linke, dann die rechte Wange.
    Sie hüpfte die Treppe hinunter, die eine Hand am Geländer, die andere an der Stelle, wo seine Lippen ihre Haut berührt hatten. Unten in der Gasse blieb sie regungslos stehen. Der Wind fuhr über ihren Schädel, der die letzten zehn Jahre lang immer bedeckt gewesen war. Sie wickelte den roten Schal vom Fuß und band ihn sich um den Kopf. Als sie weiter die Straße entlanghumpelte, hörte sie die Studenten von der Terrasse rufen: »Wie heißt du? Xavier hier will wissen, wie du heißt!«
    Josef schritt unruhig durch den halbdunklen Hauseingang. Er hörte die Kinder oben auf dem Balkon rufen: »Mila! Josef!« Gerade als er sich fragte, ob er Hannah erzählen musste, dass sie noch eine Tochter verloren hatte, ging die große Haustür auf, und Mila stand vor ihm, ein Stück Stoff um den Kopf gewickelt, den Rocksaum herabhängend und ohne Schuhe.
    »Mir fehlt nichts«, sagte sie schnell. »Bitte lauf nach oben und hol mir die andere Perücke. Sie ist im schwarzen Koffer. Schnell!«
    Josef eilte die Treppe hoch, doch die Tür ging auf, noch bevor er klingeln konnte, denn die Kinder hatten Mila vom Balkon aus gesehen. Hannah kam nach unten gerannt. » HaSchem jerachem (Herr, erbarme dich), wo ist deine Perücke?«
    »Es ist meine Schuld«, sagte Josef. »Wir sind

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