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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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frei von den Fingerabdrücken kleiner Hände waren. Sie schlug sich auf den flachen Bauch: Warum?
    Die Kinder folgten ihr schweigend nach Hause.
    *
    Mit jeder Reise fiel Mila die Rückkehr nach Williamsburg schwerer. Als sie im vierten Jahr ihrer Ehe aus dem Taxi stieg, staunte sie nicht mehr wie bei ihrer ersten Ankunft über die auffallend großen jiddischen und hebräischen Schilder, die Mülltonnen vor den Hauseingängen, den Abfall, der bis auf die Bordsteine quoll. Fast wünschte sie sich, sie hätte auf die Reise nach Paris verzichtet, weil das Heimweh nachher nur umso schlimmer war. Autos hupten in den Straßenschluchten, und Mila sehnte sich nach den Glocken von Paris, die freudig oder traurig die Stunde schlugen, nach den verlassenen Straßen im August und dem Rascheln von Neuanfang und fallendem Laub im September.
    Und jeden Monat zählte sie die blutigen Tage, und jeden Monat kam die Verzweiflung.
    Ihr Spiegelbild schien sie zu verhöhnen, ihre Schönheit machte sie wütend. Brüste ohne Milch! Arme ohne Kind! Flüsternd flehte sie die unfruchtbaren Frauen des Volkes Israel an: Mutter Sarah, Mutter Rivka, ach, wie dürstet mich nach dem Atem meines Babys!
    Im fünften Jahr ihrer Ehe sagte Mila zu Josef, der Arzt bestünde auf einer Samenprobe, bevor er Hormonpräparate verschreiben würde.
    »Aber das ist eine schwere Sünde«, erwiderte Josef. »Die Thora verbietet es.«
    »Selbst wenn es medizinisch nötig ist? Der Arzt sagt, er habe orthodoxe Patienten, die den Test gemacht haben.«
    »Unser Rebbe würde es niemals erlauben.«
    »Selbst Paaren nicht, die keine Kinder bekommen?«
    »Mila, wie soll der Arzt uns helfen, wenn das Problem bei mir liegt?«
    »Aber wenn es nicht an dir liegt, dann wird der Arzt mir Hormonpräparate verschreiben.«
    »Die Thora selbst verbietet es, nicht nur das rabbinische Gesetz. Kein gottesfürchtiger Rabbiner würde es erlauben.« Er zögerte. »Vielen Frauen hat der Segen des Rebbe geholfen.«
    »Dann frag du ihn doch. Ich gehe nicht zum Rebbe.«
    *
    Als Mila im Wartezimmer des Arztes Illustrierte durchblätterte, sprang ihr auf einer Seite der Name Kasztner in die Augen. Ihr Herz schlug schneller. In dem Artikel ging es um ein Buch über Kasztners Prominentenzug. Die Zeitschrift glitt ihr vom Schoß – Josef hatte recht, es war besser, nicht mehr an die alten Zeiten zu denken. Sie stand auf und fragte die Arzthelferin an der Rezeption, wie lange es noch dauern würde, doch da sie weiterwarten musste, griff ihre Hand unwillkürlich wieder nach der Zeitschrift. Sie las die Buchbesprechung und versteckte die Zeitschrift dann unter einem Stapel Werdende Mütter.
    Traurig verließ Mila die Arztpraxis. Sie ging am U-Bahn-Eingang vorbei und lief einfach immer weiter. In der 42. Straße blieb sie vor der Bibliothek stehen.
    Mit glühend rotem Gesicht stieg sie die Haupttreppe hoch. Die Ruhe in dem langen Lesesaal verunsicherte sie. Wie konnte ein Raum, in dem sich Männer und Frauen mischten, wie konnte so ein Sündenbabel ruhig wirken?
    Der Bibliothekar am Auskunftsschalter führte sie zu einem historischen Atlas von Mitteleuropa. Milas Finger fuhr über die Grenze, die im Zweiten Weltkrieg durch Siebenbürgen gegangen war, dann über die parallel verlaufende Linie des Flusses Nadăş, den sie auf den Schultern ihres Vaters durchquert hatte. Sie fuhr den dünnen schwarzen Strich der Eisenbahnlinie entlang, die in der Nähe von Kolozsvár fast die Grenze berührte. Nördlich davon Ungarn, im Süden Rumänien. Und dort, wo der Fluss eine Kurve machte, stand in winzigen Druckbuchstaben Deseu – der Ort, in dem Anghel und Florina gelebt hatten. Es stimmte, der Zug von Kolozsvár nach Budapest konnte, nein, er musste an dem Schuppen vorbeigefahren sein, in dem sie sich mit ihren Eltern versteckt hatte.
    Von dem Tag an machte Mila nach jedem Arztbesuch einen Abstecher in die Bibliothek in der 42. Straße. Man hatte ihr gesagt, dass Ataras hartnäckige Wissbegierde reine Vergnügungssucht gewesen sei, ein Geplänkel mit Oberflächlichkeiten, die sie den tieferen Lehren des Gesetzes vorgezogen habe. Doch jetzt, da es Mila immer wieder zurück in die Bibliothek drängte, begann sie zu begreifen: Atara musste diesen inneren Zwang, der sie nun selbst trieb, schon als junges Mädchen gespürt haben.
    Mila beobachtete einen Angestellten, der Bücher von einem Rollwagen nahm und in die Regale einordnete. Sie stellte sich vor, dass Atara in so einer Bibliothek arbeitete. Vielleicht würde

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