Ich blogg dich weg!
schon ewig mit dem Essen.“ Die Stimme von Lisas Mutter klang hoch und fröhlich.
Ich folgte Lisa in die Küche, in der es aussah, als hätte jemand ein mindestens zwölfgängiges Menü zubereitet und wäre noch nicht zum Spülen gekommen. Überall türmten sich benutzte Töpfe und Pfannen, sogar auf dem Fensterbrett stand eine große Salatschüssel mit Besteck. Auf dem Boden der Schüssel wellten sich ein paar dunkle Blätter im Essig.
„Julie!“, sagte Lisas Mutter etwas zu begeistert. Sie drückte sich an mich und ich roch, dass sie schon von dem Rotwein getrunken hatte, der auf dem Tisch stand.
„Ich hatte einen fantastischen Tag“, sagte sie, nachdem sie mich losgelassen hatte. „So kreativ. Wenn ihr wollt, lese ich euch nachher etwas vor.“
„Bitte nicht!“, sagte Lisa.
„Setzt euch erst mal!“
Auf dem Tisch standen Pellkartoffeln und eine große Schüssel mit Kräuterquark. Die Kartoffeln waren nicht mehr besonders heiß. Lisa kaute die erste Kartoffel, dann schüttelte sie den Kopf.
„Ich mach uns Bratkartoffeln“, sagte sie und nahm die Schüssel. „Du kannst mir beim Pellen helfen.“
„Ach, lass doch“, sagte stattdessen ihre Mutter. „Julie, du trinkst doch bestimmt lieber ein Glas Wein mit mir.“
Sie reichte mir ein Wasserglas, randvoll mit einer blutroten Flüssigkeit. Ihr eigenes Glas hatte sie auch gefüllt und stieß jetzt mit mir an. Der Rotwein tat meiner Kehle gut. Ich hatte gar nicht gewusst, wie durstig ich gewesen war. Ich trank noch eins, obwohl ich sah, wie Lisa die Augenbrauen missbilligend zusammenzog, bevor sie Öl in eine Pfanne goss und uns so den Rücken zuwandte. Lisas Mutter zwinkerte mir zu und füllte mein Glas wieder auf. Ich trank. Das Gedankenkarussell in meinem Kopf wurde vom Rotwein abgebremst und trudelte nun langsam aus. Gut, Ela hatte mich angegriffen, ihre blöden Freundinnen waren ihr zur Hilfe gekommen. Und außerdem wusste ich immer noch nicht, wer hinter diesem Fake-Profil steckte, wer mir als Stüpp diese Mails geschrieben hatte. Aber, mal ehrlich, kam es denn wirklich darauf an? War es nicht viel leichter, Lisas Mutter dabei zu helfen, eine neue Flasche zu öffnen und mit ihr zu kichern, als der Korken abbrach? Es war herrlich.
„Trinkt nicht so viel!“, sagte Lisa. Sie klang sehr böse und irgendwie so, als sei sie die Mutter von uns beiden. Das brachte mich zum Lachen.
„Dafür, dass du in der Schule als die Drogenbraut verschrien bist, hast du eine ganz schön konservative Ader!“ Ich kicherte immer noch.
Lisa schüttelte nur den Kopf. Obwohl sie immer noch ihr schwarzes, wildes Outfit trug, tat sie so, als sei sie erziehungsberechtigt. Ihrer Mutter nahm sie das halb volle Glas weg.
„Weißt du, dass ich ganz lange gedacht habe, dass du der Stüpp bist? Dass du mir diese Mails geschickt hast?“
„Der Stüpp?“, fragte Lisas Mutter. „Wer soll denn das sein?“
Ich musste darüber lachen, doch leider hatten alle Gedanken neue Fahrten auf dem Karussell in meinem Kopf gelöst und es begann sich wieder zu drehen. Ela, Isabelle, Alina.
Das brutzelnde Öl aus der Pfanne stieg mir in die Nase und gleichzeitig der saure Geruch aus den benutzten Töpfen und Pfannen, die überall herumstanden.
Ich stand auf, alles drehte sich, nicht nur in meinem Kopf, sondern auch in dieser verlotterten Küche. Ich musste hier raus, ich musste einfach nur weg.
„Setz dich doch wieder!“, meinte Lisa. „Iss was oder ich mache dir einen Kaffee.“ Sie schien wirklich besorgt zu sein. Aber konnte ich ihr trauen? Wie war ich überhaupt hierher gekommen, anstatt zu Hause zu sein? Ich schob mich an ihr vorbei, plötzlich kamen mir ihre dunkel geschminkten Augen irgendwie gefährlich vor.
Erst als die kühle Nachtluft meine Lungen füllte, ging es mir besser. Ich lief, ich konnte immer so weiterlaufen, ich spürte, wie der Waldboden unter mir federte, wie ich unter dem rauschenden Dach der Buchen lief, wie die Luft in meine Lungen strömte, so voll und rein, als hätte ich stundenlang nicht richtig durchgeatmet. Ich lief mitten hinein in den Wald, in dem ich vom Stüpp im Traum angefallen worden war. Ich lief über den Weg, der hinter unseren Häusern vorbeiführte. Aus ein paar Fenstern drang noch gedämpftes Licht und ich stellte mir vor, wie mein Vater über seine Akten gebeugt dasaß und wie Sebastian noch wach war. Auch bei Jasmina brannte ein kleines Licht, wohl die Lampe an ihrem Bett. Vielleicht las sie noch etwas, bevor sie ihr Kissen
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