Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
ich. »Was hast du denn?«
Er drehte sich taumelnd um, wandte das Gesicht von mir ab. Ich fürchtete, er könnte irgendeine Art Anfall haben. Ich stand auf und streckte die Hand aus, damit er sie ergriff. »Ben!«, sagte ich wieder, doch er ließ meine Hand unbeachtet, fand selbst wieder das Gleichgewicht. Als er sich erneut zu mir umdrehte, war sein Gesicht knallrot, die Augen weit aufgerissen. Ich sah, dass sich in seinen Mundwinkeln Speichel gesammelt hatte. Es war, als hätte er eine fratzenhafte Maske aufgesetzt, so verzerrt waren seine Gesichtszüge.
»Du dumme Schlampe«, sagte er und kam dabei auf mich zu. Ich zuckte zusammen. Sein Gesicht war dicht vor meinem. »Wie lange geht das schon?«
»Ich –«
»Na los! Raus mit der Sprache, du Nutte. Wie lange?«
»Da ist nichts!«, sagte ich. Furcht stieg in mir auf, höher und höher. Sie verharrte einen Moment an der Oberfläche und sank dann wieder nach unten. »Nichts!«, sagte ich wieder. Ich konnte das Essen in seinem Atem riechen. Fleisch und Zwiebeln. Speicheltröpfchen flogen, trafen mein Gesicht, die Lippen. Ich konnte seinen warmen, nassen Zorn schmecken.
»Du schläfst mit ihm. Gib’s zu.«
Meine Waden drückten mit der Rückseite gegen den Rand der Couch, und ich versuchte, mich an ihr entlangzuschieben, von ihm weg, doch er packte meine Schultern und schüttelte mich. »Du bist und bleibst eine blöde, verlogene Schlampe«, sagte er. »Ich weiß nicht, wie ich mir einbilden konnte, du würdest dich bei mir ändern. Was hast du gemacht, hä? Dich aus dem Haus geschlichen, wenn ich arbeiten war? Oder hast du ihn herkommen lassen? Oder habt ihr’s vielleicht in seinem Auto getrieben, auf einem einsamen Parkplatz?«
Ich spürte den festen Griff seiner Hände, die Finger und Nägel, die sich mir sogar durch den Baumwollstoff meiner Bluse in die Haut gruben.
»Du tust mir weh!«, schrie ich, hoffte, ihn so aus seiner Wut reißen zu können. »Ben! Lass los!«
Er hörte auf, mich zu schütteln, und lockerte seinen Griff minimal. Es schien mir unvorstellbar, dass der Mann, der meine Schultern umklammert hielt und dessen Gesicht eine Mischung aus Zorn und Hass war, derselbe Mann sein sollte, von dem der Brief stammte, den Claire mir gegeben hatte. Wie hatte ein solcher Argwohn zwischen uns entstehen können? Wie viele Missverständnisse musste es gegeben haben, dass wir an diesen Punkt kommen konnten?
»Ich hab nichts mit ihm«, sagte ich. »Er hilft mir. Er hilft mir, wieder gesund zu werden, damit ich ein normales Leben führen kann. Hier, mit dir. Willst du das denn nicht?«
Seine Augen begannen, im Raum hin und her zu huschen. »Ben?«, sagte ich wieder. »Sag was!« Er erstarrte. »Willst du denn nicht, dass ich gesund werde? Hast du das nicht immer gewollt, immer gehofft?« Er fing, an, den Kopf zu schütteln, ihn hin und her zu wiegen. »Doch, das hast du, das weiß ich«, sagte ich. »Ich weiß, dass du dir das die ganze Zeit gewünscht hast.« Heiße Tränen liefen mir über die Wangen, aber ich sprach trotzdem weiter, während meine Stimme sich in Schluchzen auflöste. Er hielt mich noch immer fest, jetzt jedoch sanft, und ich legte meine Hände auf seine.
»Ich hab mich mit Claire getroffen«, sagte ich. »Sie hat mir deinen Brief gegeben. Ich hab ihn gelesen, Ben. Nach all den Jahren hab ich ihn endlich gelesen.«
An der Stelle ist ein Fleck auf der Seite. Tinte, mit Wasser zu einem Klecks verschmiert, der aussieht wie ein Stern. Ich muss beim Schreiben geweint haben. Ich lese weiter.
Ich weiß nicht, was ich als Nächstes erwartet hatte. Vielleicht dachte ich, er würde mir in die Arme sinken, erleichtert schluchzen, und wir würden dastehen, einander halten, schweigend, so lange, bis wir uns wieder beruhigt hätten, tastend zueinander zurückfänden. Und dann würden wir uns hinsetzen und über alles reden. Vielleicht würde ich den Brief, den Claire mir gegeben hatte, von oben holen, und wir würden ihn zusammen lesen und dann anfangen, unser Leben ganz allmählich auf einem Fundament der Wahrheit neu aufzubauen.
Stattdessen schien die Welt ringsherum für eine Sekunde stillzustehen, ganz ruhig zu werden. Kein Atemgeräusch, kein Verkehrsrauschen von der Straße. Ich hörte nicht einmal das Ticken der Uhr. Es war, als würde das Leben in der Schwebe hängen, auf der Nahtstelle zwischen zwei Zuständen verharren.
Und dann war der Moment vorüber. Ben wich ein Stück von mir zurück. Ich dachte schon, er wollte mich küssen,
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