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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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doch stattdessen nahm ich aus dem Augenwinkel etwas Verschwommenes wahr, und dann flog mein Kopf zur Seite. Mein Kiefer strahlte vor Schmerz. Ich fiel, das Sofa kam auf mich zu, und ich schlug mit dem Hinterkopf auf etwas Hartes und Spitzes. Ich schrie auf. Wieder traf mich ein Schlag, und dann noch einer. Ich schloss die Augen, wartete auf den nächsten – doch er kam nicht. Stattdessen hörte ich, wie sich Schritte entfernten und dann eine Tür knallte.
    Ich öffnete die Augen und sog mit einem wütenden Keuchen die Luft ein. Der Teppichboden erstreckte sich jetzt vertikal vor mir. Ein zerbrochener Teller lag neben meinem Kopf, und Bratensoße tropfte auf den Boden, tränkte den Teppich. Erbsen und ein Reststück Braten waren in den Flor getreten. Die Haustür wurde aufgerissen, knallte dann zu. Schritte auf dem Weg. Ben war gegangen.
    Ich atmete aus. Ich schloss die Augen. Ich darf nicht einschlafen, dachte ich. Ich darf nicht.
    Ich schlug sie wieder auf. Dunkle Wirbel weit vor mir und der Geruch von wundem Fleisch. Ich schluckte und schmeckte Blut.
    Was hab ich getan? Was hab ich getan?
    Ich vergewisserte mich, dass er fort war, ging dann nach oben und holte mein Tagebuch hervor. Blut tropfte von meiner geplatzten Lippe auf den Teppich. Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich weiß nicht, wo mein Mann ist oder ob er wiederkommen wird oder ob ich das überhaupt will.
    Aber ich brauche ihn. Ohne ihn kann ich nicht leben.
    Ich habe Angst. Ich will Claire sehen.
    Ich höre auf zu lesen und betaste mit einer Hand meine Stirn. Sie ist schmerzempfindlich. Der Bluterguss, den ich heute Morgen gesehen und mit Make-up abgedeckt habe. Ben hatte mich geschlagen. Ich schaue noch einmal auf das Datum. Freitag, 23. November. Das war vor einer Woche. Eine ganze Woche habe ich geglaubt, es wäre alles in Ordnung.
    Ich stehe auf und blicke in den Spiegel. Der Bluterguss ist noch da, ein schwacher blauer Fleck. Der Beweis, dass das, was ich geschrieben habe, wahr ist. Ich frage mich, welche Lügen ich mir eingeredet habe, um die Verletzung zu erklären, oder welche Lügen er mir eingeredet hat.
    Aber jetzt kenne ich die Wahrheit. Ich schaue auf die Tagebuchseiten in meiner Hand, und mit einem Schlag begreife ich. Er hat gewollt, dass ich sie finde. Er weiß, selbst wenn ich sie heute lese, werde ich morgen alles wieder vergessen haben.
    Plötzlich höre ich ihn auf der Treppe, und fast zum ersten Mal begreife ich so richtig, dass ich hier bin, in diesem Hotelzimmer. Mit Ben. Mit dem Mann, der mich geschlagen hat. Ich höre den Schlüssel im Schloss.
    Ich muss erfahren, was passiert ist, daher stehe ich auf, schiebe rasch die Seiten unters Kopfkissen und lege mich aufs Bett. Als er ins Zimmer tritt, schließe ich die Augen.
    »Alles in Ordnung, Schatz?«, fragt er. »Bist du wach?«
    Ich schlage die Augen auf. Er steht an der Tür, eine Flasche in der Hand. »Ich konnte nur Sekt auftreiben«, sagt er. »Geht der auch?«
    Er stellt die Flasche auf die Kommode und küsst mich. »Ich glaube, ich dusch noch eben«, flüstert er. Er verschwindet im Bad und dreht den Wasserhahn auf.
    Als er die Tür geschlossen hat, hole ich die Seiten hervor. Mir bleibt nicht viel Zeit – er braucht höchstens fünf Minuten –, daher muss ich so schnell lesen, wie ich kann. Meine Augen fliegen über die Seiten, erfassen nicht mal alle Wörter, sehen aber genug.
    Das war vor zwei Stunden. Ich sitze in der dunklen Diele unseres leeren Hauses, in einer Hand einen Zettel, in der anderen ein Telefon. Tinte auf Papier. Eine verwischte Telefonnummer. Es hat sich niemand gemeldet, trotz des endlos langen Klingelns. Ich frage mich, ob sie ihren Anrufbeantworter ausgestellt hat oder ob das Band voll ist. Ich versuche es erneut. Und noch einmal. Das hab ich schon einmal erlebt. Ich bin in einer Zeitschleife. Claire ist nicht da, um mir zu helfen.
    Ich sah in meine Handtasche und fand das Telefon, dass Dr. Nash mir gegeben hatte. Es ist spät, dachte ich. Er ist bestimmt nicht mehr in der Praxis. Er wird mit seiner Freundin zusammen sein, mit ihr den Abend verbringen, wie immer das bei den beiden auch aussehen mag. Was normale Menschen so machen. Ich hab keine Ahnung, was.
    Seine Privatnummer stand vorn in meinem Tagebuch. Es klingelte und klingelte und hörte dann einfach auf. Keine Stimme vom Band, die mich bat, es später noch einmal zu versuchen oder eine Nachricht zu hinterlassen. Ich versuchte es erneut. Das Gleiche. Jetzt blieb mir nur noch die Nummer

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