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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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von seiner Praxis.
    Ich blieb eine ganze Weile so sitzen. Hilflos. Starrte die Haustür an, einerseits, weil ich hoffte, Bens schemenhafte Gestalt in der Milchglasscheibe auftauchen zu sehen und zu hören, wie er den Schlüssel ins Schloss steckte, andererseits, weil ich genau davor Angst hatte.
    Schließlich konnte ich nicht länger warten. Ich ging nach oben und zog mich aus, legte mich dann ins Bett und schrieb das hier. Das Haus ist noch leer. Gleich werde ich dieses Buch zuklappen und es verstecken, dann das Licht ausschalten und schlafen.
    Und dann werde ich vergessen, und dieses Tagebuch wird alles sein, das mir bleibt.
    Ich blicke ängstlich auf die nächste Seite, fürchte, sie könnte leer sein, aber nein.
     
    Montag, 26. November
    Er hat mich am Freitag geschlagen. Zwei Tage, und ich habe nichts geschrieben. Habe ich die ganze Zeit gedacht, es wäre alles in Ordnung?
    Mein Gesicht ist grün und blau. Ich muss doch gewusst haben, dass irgendwas nicht stimmt?
    Heute hat er gesagt, ich wäre gefallen. Ein abgeschmacktes Klischee, und ich habe ihm geglaubt. Wieso auch nicht? Er hatte mir schon erklären müssen, wer ich bin und wer er ist und wieso ich in einem fremden Haus aufgewacht bin, Jahrzehnte älter, als ich meinte zu sein, warum also sollte ich den Grund, den er mir für mein blaues Auge und meine aufgeplatzte Lippe nannte, in Zweifel ziehen?
    Und so tat ich, was ich wohl immer tue. Ich hab ihm einen Kuss gegeben, als er zu Arbeit ging. Ich habe den Frühstückstisch abgeräumt. Ich habe mir ein Bad einlaufen lassen.
    Und dann bin ich hier hereingegangen, habe das Tagebuch gefunden und die Wahrheit erfahren.
    Eine Lücke. Ich merke, dass ich Dr. Nash nicht erwähnt habe. Hatte er mich im Stich gelassen? Hatte ich das Tagebuch ohne seine Hilfe gefunden?
    Oder hatte ich es nicht mehr versteckt? Ich lese weiter.
    Später rief ich Claire an. Das Telefon, das Ben mir gegeben hatte, funktionierte nicht – wahrscheinlich war der Akku leer, dachte ich –, und deshalb nahm ich das, das Dr. Nash mir gegeben hatte. Es nahm niemand ab, und so ging ich ins Wohnzimmer. Ich konnte mich nicht entspannen. Ich blätterte ein paar Zeitschriften durch, legte sie wieder weg. Ich schaltete den Fernseher ein und starrte eine halbe Stunde auf den Bildschirm, ohne auch nur wahrzunehmen, was lief. Ich sah in mein Tagebuch, unfähig, mich zu konzentrieren, unfähig, zu schreiben. Ich versuchte es wieder bei Claire, mehrmals, hörte jedes Mal dieselbe Aufforderung, eine Nachricht zu hinterlassen. Kurz nach Mittag ging sie endlich ran.
    »Chrissy«, sagte sie. »Wie geht’s dir?« Im Hintergrund hörte ich Toby spielen.
    »Ganz gut«, sagte ich, obwohl das nicht stimmte.
    »Ich wollte dich auch schon anrufen«, sagte sie. »Mir geht’s beschissen, und dabei ist erst Montag!«
    Montag. Tage bedeuteten mir nichts; jeder schmolz dahin, ohne Unterschied zum vorangegangenen.
    »Ich muss dich sehen«, sagte ich. »Kannst du herkommen?«
    Sie klang überrascht. »Zu dir nach Hause?«
    »Ja«, sagte ich. »Bitte? Ich muss mit dir reden.«
    »Ist alles in Ordnung, Chrissy? Hast du den Brief gelesen?«
    Ich holte tief Luft, und meine Stimme sank zu einem Flüstern. »Ben hat mich geschlagen.« Ich hörte ein überraschtes Aufkeuchen.
    »Was?«
    »Neulich Abend. Ich bin grün und blau. Er hat gesagt, ich wäre gestürzt, aber ich hab aufgeschrieben, dass er mich geschlagen hat.«
    »Chrissy, Ben würde dich doch niemals schlagen. Nie im Leben. Dazu ist er einfach nicht fähig.«
    Zweifel durchströmten mich. War es möglich, dass ich mir das alles ausgedacht hatte?
    »Aber ich hab’s in mein Tagebuch geschrieben«, sagte ich.
    Einen Moment lang sagte sie nichts, dann: »Aber welchen Grund hätte er haben sollen, dich zu schlagen?«
    Ich betastete mein Gesicht, spürte die Schwellung um die Augen. Wut flammte in mir auf. Es war klar, dass sie mir nicht glaubte.
    Ich dachte daran, was ich geschrieben hatte. »Ich hab ihm von meinem Tagebuch erzählt. Ich hab ihm erzählt, dass ich mich mit dir getroffen habe, und von Dr. Nash. Ich hab ihm erzählt, dass ich von Adam weiß. Ich hab ihm von seinem Brief erzählt, den du mir gegeben hast, dass ich ihn gelesen habe. Und da hat er mich geschlagen.«
    »Einfach so?«
    Ich dachte an seine üblen Beschimpfungen, seine Verdächtigungen. »Er hat mich als Schlampe bezeichnet.« Ich spürte ein Schluchzen in der Brust aufsteigen. »Er – er hat mich beschuldigt, mit Dr. Nash zu schlafen.

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