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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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musste, klangen sie neu. Verboten und gefährlich.
    Ich sah zu ihm hoch, sah die Stoppeln an seinem Kinn, die Fülle seiner Lippen und darüber die Kontur seiner Nase. »Ich liebe dich auch«, sagte ich, flüsterte gegen seine Brust, als wären die Worte zerbrechlich. Dann drückte er meinen Körper an seinen und küsste mich sanft. Auf den Kopf, die Stirn. Ich schloss die Augen, und er küsste meine Lider, streifte sie zart mit den Lippen. Ich fühlte mich sicher, geborgen. Ich fühlte mich, als wäre das hier, an seinen Körper geschmiegt, der einzige Ort, an den ich gehörte. Der einzige Ort, an dem ich je sein wollte. Wir blieben eine Weile schweigend liegen, eng umschlungen, Haut an Haut, im selben Rhythmus atmend. Es kam mir vor, als könnte dieser Augenblick, wenn wir nur still waren, ewig währen – und als wäre selbst das nicht genug.
    Ben brach den Bann. »Ich muss los«, sagte er, und ich öffnete die Augen und nahm seine Hand. Sie fühlte sich warm an. Weich. Ich hob sie an den Mund und küsste sie. Der Geschmack von Glas und Erde.
    »Schon?«, sagte ich.
    Er küsste mich wieder. »Ja. Es ist später, als du denkst. Ich verpass meinen Zug.«
    Mein Körper schien in die Tiefe zu stürzen. Trennung war etwas Undenkbares. Unerträgliches. »Bleib doch noch ein bisschen«, sagte ich. »Nimm den nächsten.«
    Er lachte. »Ich kann nicht, Chris«, sagte er. »Das weißt du doch.«
    Ich küsste ihn wieder. »Ich weiß«, sagte ich. »Ich weiß.«
    Ich duschte, nachdem er gegangen war. Ich ließ mir Zeit, seifte mich langsam ein, spürte das Wasser auf meiner Haut wie einen ganz neuen Sinneseindruck. Im Schlafzimmer sprühte ich mich mit Parfüm ein, zog Nachthemd und Morgenmantel an und ging dann nach unten ins Esszimmer.
    Es war dunkel. Ich schaltete das Licht ein. Auf dem Tisch vor mir stand eine Schreibmaschine, ein leeres Blatt eingespannt, und daneben war ein flacher Stapel Seiten, Schrift nach unten. Ich setzte mich an die Maschine. Ich begann zu tippen.
Kapitel zwei
.
    Dann stockte ich. Mir fiel nichts ein, was ich als Nächstes schreiben, wie ich anfangen sollte. Ich seufzte, die Hände auf der Tastatur. Sie fühlte sich natürlich an, kühl und glatt, an meine Fingerspitzen gewöhnt. Ich schloss die Augen und begann wieder zu tippen.
    Lizzy wusste nicht, was sie getan hatte oder wie es ungeschehen gemacht werden konnte.
    Ich betrachtete den Satz. Unbeweglich. Schwarz, auf Papier.
    Schwachsinn, dachte ich. Ich war verärgert. Ich wusste, dass ich besser sein konnte. Ich war es schon gewesen, zwei Sommer zuvor, als die Worte aus mir herausgeströmt waren, meine Geschichte sich auf dem Papier verteilt hatte wie Konfetti. Aber jetzt? Jetzt war irgendetwas falsch. Die Sprache war unbeweglich geworden, steif. Hart.
    Ich nahm einen Stift und zog eine gerade Linie durch den Satz. Ich fühlte mich ein wenig besser, nachdem er durchgestrichen war, doch jetzt hatte ich wieder nichts; keinen Anfang.
    Ich stand auf und zündete mir eine Zigarette aus der Packung an, die Ben auf dem Tisch hatte liegen lassen. Ich sog den Rauch tief in die Lunge, hielt ihn ein, atmete aus. Einen Moment lang wünschte ich, es wäre Gras, überlegte, wo ich mir welches besorgen konnte, für das nächste Mal. Ich goss mir einen Drink ein – Wodka pur in ein Whiskyglas – und trank einen kräftigen Schluck. Ich würde es brauchen.
Schreibblockade
, dachte ich.
Wie bin ich bloß zu so einem Scheißklischee geworden?
    Letztes Mal. Wie habe ich das letztes Mal gemacht? Ich ging zu einem der Bücherregale, die die Wände des Esszimmers säumten, und nahm, die Zigarette zwischen die Lippen geklemmt, ein Buch vom obersten Brett.
Da müssen doch Anhaltspunkte zu finden sein. Oder nicht?
    Ich stellte den Wodka ab und drehte das Buch mit beiden Händen um. Ich legte die Fingerspitzen auf den Deckel, als wäre das Buch empfindlich, und fuhr sacht über den Titel.
Für die Vögel des Morgens
, stand da.
Christine Lucas
. Ich klappte es auf und blätterte die Seiten durch.
     
    Das Bild verschwand. Meine Augen öffneten sich. Das Zimmer, in dem ich mich befand, sah trist und grau aus, aber mein Atem ging stoßweise. Ich registrierte mit vagem Erstaunen, dass ich mal geraucht hatte, doch dann drängte sich etwas anderes in den Vordergrund. War es wahr? Hatte ich einen Roman geschrieben? War er veröffentlicht worden? Ich stand auf; das Tagebuch rutschte mir vom Schoß. Falls ja, dann war ich jemand gewesen, jemand mit einem Leben, mit Zielen

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