Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
lang hatte ich das Gefühl, einen schrecklichen Fehler zu machen. Ich fragte mich, ob er überhaupt wusste, wer ich war, doch dann sagte er: »Christine?«
Ich wiederholte meine Frage. »Gerade habe ich mich an etwas erinnert. Dass ich etwas geschrieben habe, vor Jahren, als ich Ben ganz frisch kannte, glaube ich. Einen Roman. Habe ich einen Roman geschrieben?«
Er schien nicht zu verstehen, was ich meinte. »Einen Roman?«
»Ja«, sagte ich. »Irgendwie hab ich mich erinnert, dass ich Schriftstellerin werden wollte, als ich noch klein war. Und jetzt frage ich mich, ob ich mal irgendwas geschrieben habe. Ben hat mir erzählt, dass ich als Sekretärin gearbeitet habe, aber ich dachte bloß –«
»Er hat es Ihnen nicht gesagt?«, unterbrach er mich. »Sie haben an Ihrem zweiten Roman gearbeitet, als Sie Ihr Gedächtnis verloren. Ihr erster wurde veröffentlicht. Er war ein Erfolg. Ich meine, nicht gerade ein Bestseller, aber zweifellos ein Erfolg.«
Die Worte wirbelten ineinander. Ein Roman. Ein Erfolg. Veröffentlicht. Es stimmte also, meine Erinnerung war real. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Denken sollte.
Ich verabschiedete mich von ihm, dann ging ich nach oben, um das hier zu schreiben.
***
Auf dem Radiowecker neben dem Bett ist es halb zehn. Ich nehme an, dass Ben bald nach oben kommt, aber ich sitze noch immer hier auf der Bettkante und schreibe. Nach dem Abendessen habe ich mit ihm gesprochen. Den ganzen Nachmittag über war ich aufgewühlt, tigerte von einem Zimmer ins andere, sah alles wie zum ersten Mal, fragte mich, warum er jeden Hinweis auf einen doch bescheidenen Erfolg entfernt hatte. Es ergab keinen Sinn. Schämte er sich? War es ihm unangenehm? Hatte ich über ihn geschrieben, unser Zusammenleben? Oder gab es einen schlimmeren Grund dafür? Etwas Dunkleres, das ich noch nicht sehen konnte?
Als er schließlich nach Hause kam, hatte ich den festen Vorsatz gefasst, ihn direkt zu fragen, doch dann? Dann erschien mir das unmöglich. Es war, als würde ich ihn der Lüge bezichtigen.
Ich sprach möglichst beiläufig. »Ben?«, sagte ich. »Was hab ich beruflich gemacht?« Er blickte von seiner Zeitung auf. »Hatte ich einen Job?«
»Ja«, sagte er. »Du hast eine Zeitlang als Sekretärin gearbeitet. Gleich nach unserer Heirat.«
Ich versuchte, meine Stimme ruhig zu halten. »Wirklich? Ich hab nämlich so ein Gefühl, dass ich schreiben wollte.«
Er faltete die Zeitung zusammen, richtete seine volle Aufmerksamkeit auf mich.
»Ein Gefühl?«
»Ja. Ich erinnere mich klar daran, dass ich als Kind ein Bücherwurm war. Und ich hab so eine vage Erinnerung, dass ich Schriftstellerin werden wollte.« Er schob seine Hand über den Esstisch und ergriff meine. Seine Augen blickten traurig. Enttäuscht.
Wie schade
, schienen sie zu sagen.
Ein Jammer. Daraus wird nun wohl nichts mehr
. »Bist du sicher?«, begann ich. »Irgendwie meine ich mich zu erinnern –«
Er fiel mir ins Wort. »Christine«, sagte er. »Bitte. Du phantasierst dir da was zusammen.«
Den Rest des Abends schwieg ich, hörte nur die Gedanken, die in meinem Kopf widerhallten.
Warum tut er das? Warum tut er so, als hätte ich nie ein Wort geschrieben? Warum?
Ich beobachtete ihn, wie er schlafend auf der Couch lag und leise schnarchte. Warum hatte ich ihm nicht erzählt, dass ich von meinem Roman wusste? Vertraute ich ihm wirklich so wenig? Ich hatte mich daran erinnert, wie wir einander in den Armen lagen, uns leise murmelnd unsere Liebe beteuerten, während der Himmel draußen dunkler wurde. Wie hatte es zwischen uns so weit kommen können?
Doch dann begann ich mir auszumalen, was passieren würde, wenn ich doch irgendwann auf ein Exemplar meines Romans stoßen würde, in irgendeinem Schrank oder ganz hinten auf einem hohen Regal. Was würde mir das vermitteln? Doch nur:
Sieh dir an, wie tief du gefallen bist. Sieh dir an, was du mal geleistet hast, bevor ein Auto auf einer eisglatten Straße dir alles nahm, dich zu einer nutzlosen Belastung machte.
Es wäre kein glücklicher Augenblick. Ich sah mich, wie ich hysterisch wurde – noch sehr viel schlimmer als heute Nachmittag, als sich die Erkenntnis wenigstens allmählich einstellte, ausgelöst durch eine herbeigesehnte Erinnerung –, wie ich schrie, weinte. Die Wirkung könnte verheerend sein.
Kein Wunder, dass Ben mir das ersparen wollte. Ich stelle ihn mir jetzt vor, wie er alle Exemplare zusammensucht, sie in dem Grill auf der Veranda hinter dem Haus verbrennt,
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