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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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Antworten liefern.
    Dennoch, dachte ich, als ich das Buch umdrehte, um mir den hinteren Deckel anzusehen, immerhin hatte ich es geschrieben, hatte geschafft, dass es veröffentlicht wurde.
    Statt eines Fotos der Autorin war nur eine kurze Biographie abgedruckt.
    Christine Lucas wurde 1960 in Nordengland geboren,
stand da
. Sie hat am University College in London, wo sie derzeit lebt, englische Literatur studiert. Dies ist ihr erster Roman.
    Ich lächelte, spürte eine Welle von Glück und Stolz.
Ich habe das Buch geschrieben
. Ich wollte es lesen, seine Geheimnisse entschlüsseln, doch gleichzeitig auch wieder nicht. Ich hatte Angst, die Realität würde mir das Glück, das ich empfand, wieder wegnehmen. Entweder der Roman würde mir gefallen, dann wäre ich traurig, nie einen zweiten schreiben zu können, oder er würde mir nicht gefallen, dann wäre ich frustriert, weil ich mein Talent nie entwickelt hatte. Ich konnte nicht sagen, was wahrscheinlicher war, aber ich wusste, dass ich es eines Tages herausfinden werde, wenn ich mich der Sogkraft meines einzigen Werkes nicht länger widersetzen kann. Ich werde diese Entdeckung machen.
    Aber nicht heute. Heute hatte ich etwas anderes zu entdecken, etwas, das viel schlimmer war als Traurigkeit, schädlicher als bloße Frustration. Etwas, das mich in Stücke reißen könnte.
    Ich versuchte, das Buch wieder in den Umschlag zu stecken. Da war noch etwas anderes drin. Ein Blatt Papier, viermal gefaltet, die Ecken steif. Darauf hatte Dr. Nash geschrieben:
Ich dachte, das könnte Sie interessieren!
    Ich faltete das Blatt auseinander. Ganz oben hatte er geschrieben:
Standard, 1986
. Darunter war der Ausdruck eines Zeitungsartikels neben einem Foto. Ich blickte ein oder zwei Sekunden auf das Blatt, ehe ich begriff, dass der Artikel eine Rezension meines Romans war und das Foto von mir.
    Ich zitterte, während ich das Blatt in der Hand hielt. Ich wusste nicht, warum. Es war ein Artefakt aus ferner Zeit. Seine Auswirkungen, ob sie nun gut oder schlecht gewesen waren, lagen lange zurück. Es war inzwischen Geschichte, die Wellen, die es geschlagen haben mochte, längst geglättet. Aber es war wichtig für mich. Wie war mein Werk aufgenommen worden, damals? War ich erfolgreich gewesen?
    Ich überflog den Artikel, hoffte, den Tenor herauszulesen, um nicht gezwungen zu sein, ihn haarklein zu studieren. Wörter sprangen mir ins Auge. Überwiegend positive.
Durchdacht. Einfühlsam. Gekonnt. Menschlich. Schonungslos.
    Ich sah mir das Foto an. Schwarzweiß. Ich saß an einem Schreibtisch, den Körper zur Kamera gewandt. Ich wirke darauf verlegen. Irgendetwas ist mir unangenehm, und ich fragte mich, ob es die Person hinter der Kamera war oder meine Sitzposition. Trotzdem lächele ich. Mein Haar ist lang und offen, und es wirkt trotz des Schwarzweißfotos dunkler, als es jetzt ist, als hätte ich es schwarz gefärbt, oder als wäre es feucht. Hinter mir sind Terrassentüren, und durch sie hindurch, in der Ecke des Bildes gerade noch sichtbar, ist ein laubloser Baum zu erkennen. Das Foto hat eine Bildunterschrift.
Christine Lucas, in ihrem Haus in Nordlondon
.
    Ich begriff, dass es das Haus sein musste, das ich mit Dr. Nash besucht hatte. Eine Sekunde lang überkam mich das fast überwältigende Verlangen, noch einmal hinzufahren, dieses Foto mitzunehmen und mich selbst davon zu überzeugen, dass es stimmte; dass ich damals existiert hatte. Dass ich es gewesen war.
    Aber das wusste ich natürlich schon. Ich konnte mich zwar nicht daran erinnern, aber ich wusste, dass ich mich, als ich in der Küche stand, an Ben erinnert hatte. Ben, und seine hüpfende Erektion.
    Ich lächelte und berührte das Foto, fuhr mit den Fingern darüber, suchte nach versteckten Hinweisen, wie eine Blinde. Ich zeichnete die Kontur meines Haars nach, fuhr mit den Fingerspitzen über mein Gesicht. Auf dem Foto wirke ich, als fühlte ich mich unwohl, aber auch irgendwie strahlend. So als würde ich ein Geheimnis bewahren, es wie einen Talisman hüten. Mein Roman ist veröffentlicht worden, ja, aber da ist noch etwas anderes, etwas Größeres.
    Ich schaute genauer hin. Ich sah die Wölbung meiner Brüste in dem weiten Kleid, das ich trug, sah, dass ich einen Arm quer über den Bauch gelegt hatte. Eine Erinnerung sprudelte aus dem Nichts auf – ich, die ich für das Foto posiere, vor mir der Fotograf hinter seinem Stativ, die Journalistin, mit der ich eben über meine Arbeit gesprochen habe, in der Küche. Sie ruft

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