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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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den Himmel, Grün für die Erde und dazwischen drei klecksige Figuren und ein winziges Haus –, und ich sah den Stoffhasen, den er überallhin mitnahm.
    Ich wurde zurück in die Gegenwart gerissen, in das Badezimmer, in dem ich stand, schloss aber wieder die Augen. Ich wollte mich an ihn in der Schule erinnern oder als Teenager oder wollte ihn zusammen mit mir oder seinem Vater sehen. Aber es gelang mir nicht. Wenn ich meine Erinnerungen zu steuern versuchte, flatterten sie auf und verschwanden, wie eine Feder, die im Wind die Richtung ändert, sobald eine Hand sie fangen will. Stattdessen sah ich ihn mit einem tropfenden Eis in der Hand, dann mit lakritzverschmiertem Mund, dann schlafend auf dem Rücksitz im Wagen. Ich konnte nur tatenlos zusehen, wie die Erinnerungen kamen und ebenso schnell wieder gingen.
    Ich musste all meine Kraft aufbieten, um nicht die Fotos vor mir von der Wand zu reißen, auf der Suche nach Beweisen für meinen Sohn. Stattdessen blieb ich völlig reglos vor dem Spiegel stehen, jeder Muskel in meinem Körper angespannt, als fürchtete ich, dass mich meine Gliedmaßen schon bei der geringsten Bewegung im Stich lassen könnten.
    Keine Fotos auf dem Kaminsims. Kein Teenagerzimmer mit Postern von Popstars an der Wand. Keine T-Shirts im Wäschekorb oder in der Bügelwäsche. Keine abgelaufenen Sportschuhe im Schrank unter der Treppe. Selbst wenn er einfach von zu Hause ausgezogen wäre, müsste doch noch irgendein Anzeichen von seiner Existenz vorhanden sein, oder? Irgendeine Spur?
    Aber nein, er ist nicht in diesem Haus. Mit einem Frösteln begriff ich, dass es war, als existierte er nicht, als hätte er nie existiert.
     
    Ich weiß nicht, wie lange ich da im Badezimmer stand, seine Abwesenheit betrachtete. Zehn Minuten? Zwanzig? Eine Stunde? Irgendwann hörte ich einen Schlüssel in der Haustür, das Schaben, als Ben sich die Füße auf der Matte abputzte. Ich rührte mich nicht. Er ging in die Küche, dann ins Esszimmer und rief nach oben, fragte, ob alles in Ordnung sei. Er klang ängstlich, seine Stimme hatte einen nervösen Beiklang, den ich heute Morgen nicht gehört hatte, doch ich murmelte bloß, ja, ja, es sei alles in Ordnung. Ich hörte, wie er ins Wohnzimmer ging, dann den Ton vom Fernseher.
    Die Zeit blieb stehen. Mein Kopf leerte sich völlig. Zurück blieb nur das Bedürfnis, zu erfahren, was aus meinem Sohn geworden war, und zugleich die ebenso starke Angst vor dem, was ich herausfinden könnte.
    Ich versteckte den Umschlag mit meinem Roman im Kleiderschrank und ging nach unten.
    Vor der Wohnzimmertür blieb ich stehen. Ich versuchte, meinen Atem zu verlangsamen, doch vergeblich, er ging heiß und keuchend. Ich wusste nicht, was ich Ben sagen sollte: Wie sollte ich ihm beibringen, dass ich von Adam wusste? Er würde fragen, woher, und was würde ich dann sagen?
    Aber das war egal. Alles war egal. Außer dass ich erfuhr, was mit meinem Sohn war. Ich schloss die Augen, und als ich meinte, halbwegs ruhig zu sein, schob ich sachte die Tür auf. Ich spürte, wie sie über den rauen Teppichboden glitt.
    Ben hörte mich nicht. Er saß auf dem Sofa und schaute fern, einen Teller mit einem halben Keks auf dem Schoß. Eine Zorneswelle stieg in mir hoch. Er wirkte so entspannt und heiter, ein Lächeln umspielte seinen Mund. Er begann zu lachen. Ich wollte mich auf ihn stürzen, ihn packen und anschreien, bis er mir alles erzählte, mir erzählte, warum er mir meinen Roman verschwiegen hatte, warum er alle Spuren von meinem Sohn beseitigt hatte. Ich wollte verlangen, dass er mir alles zurückgab, was ich verloren hatte.
    Aber ich wusste, das würde nichts bringen. Stattdessen hüstelte ich. Ein leises, zartes Hüsteln. Ein Hüsteln, das so viel sagte wie:
Ich will ja nicht stören, aber …
    Er sah mich und lächelte. »Liebling!«, sagte er. »Da bist du ja.«
    Ich trat ins Zimmer. »Ben«, sagte ich. Meine Stimme war angespannt. Sie klang mir selbst fremd in den Ohren. »Ben? Ich muss mit dir reden.«
    Sein Gesicht nahm sofort einen besorgten Ausdruck an. Er stand auf und kam auf mich zu, der Teller rutschte zu Boden. »Was ist denn, Liebes? Ist alles in Ordnung?«
    »Nein«, sagte ich. Er blieb etwa einen Meter vor mir stehen. Er öffnete die Arme, doch ich ließ mich nicht in sie hineinfallen.
    »Was ist denn los?«
    Ich sah meinen Mann an, sein Gesicht. Er wirkte völlig beherrscht, als hätte er so etwas schon erlebt, als wäre er diese hysterischen Momente gewohnt.
    Ich konnte

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