Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
nicht anders, ich musste den Namen meines Sohnes aussprechen. »Wo ist Adam?«, sagte ich. Die Worte kamen mit einem Keuchen aus meinem Mund. »Wo ist er?«
Bens Miene veränderte sich. Überraschung? Oder Schock? Er schluckte.
»Sag’s mir!«, befahl ich.
Er nahm mich in die Arme. Ich wollte ihn wegstoßen, tat es aber nicht. »Christine«, sagte er. »Bitte. Beruhige dich. Es ist alles gut. Ich kann dir alles erklären. In Ordnung?«
Ich wollte erwidern, nein, es sei gar nichts in Ordnung, sagte aber nichts. Ich verbarg mein Gesicht vor ihm, vergrub es in den Falten seines Hemdes.
Ich begann zu zittern. »Sag’s mir«, sagte ich. »Bitte, sag’s mir endlich.«
Wir setzten uns aufs Sofa. Ich an ein Ende. Er ans andere. Näher wollte ich ihm nicht sein.
Ich wollte nicht, dass er es aussprach, doch er tat es.
Dann sagte er es noch mal.
»Adam ist tot.«
Ich spürte, wie ich mich zusammenkrampfte. Wie eine Schnecke in ihr Haus. Seine Worte schneidend wie Stacheldraht.
Ich musste an die Fliege an der Windschutzscheibe denken, auf der Heimfahrt vom Haus meiner Großmutter.
Er sprach erneut. »Christine, Schatz. Es tut mir so leid.«
Ich wurde wütend. Wütend auf ihn.
Scheißkerl
, dachte ich, obwohl ich wusste, dass es nicht seine Schuld war.
Ich zwang mich zu sprechen. »Wie ist …?«
Er seufzte. »Adam war in der Army.«
Ich fühlte mich auf einmal wie betäubt. Alles wich zurück, bis in mir nur noch Schmerz übrigblieb und sonst nichts. Schmerz. Auf einen einzigen Punkt konzentriert.
Ein Sohn, von dessen Existenz ich nicht mal gewusst hatte, und er war Soldat geworden. Ein Gedanke durchfuhr mich. Absurd.
Was wird meine Mutter davon halten?
Ben sprach wieder, stoßweise, abgehackt. »Er war bei der Marine-Infanterie. Er war in Afghanistan stationiert. Er wurde getötet. Letztes Jahr.«
Ich schluckte. Die Kehle trocken.
»Warum?«, sagte ich, und dann: »Wie?«
»Christine –«
»Ich will es wissen«, sagte ich. »Ich muss es wissen.«
Er griff nach meiner Hand, und ich ließ es zu, obwohl ich erleichtert war, dass er auf dem Sofa nicht näher rückte.
»Du willst doch bestimmt nicht alles wissen, oder?«
Meine Wut schwoll an. Ich konnte nichts dagegen machen. Wut und Panik. »Er war mein Sohn!«
Er sah weg, zum Fenster.
»Er war in einem Panzerfahrzeug unterwegs«, sagte er. Er sprach langsam, fast flüsternd. »Als Truppenbegleitung. Am Straßenrand ist eine Bombe explodiert. Ein Soldat hat überlebt. Adam und ein anderer nicht.«
Ich schloss die Augen, und auch meine Stimme senkte sich zu einem Flüsterton. »War er sofort tot? Hat er leiden müssen?«
Ben seufzte. »Nein«, sagte er nach einem Augenblick. »Er hat nicht leiden müssen. Sie glauben, es ist sehr schnell gegangen.«
Er sah wieder in meine Richtung. Er sah mich nicht an.
Du lügst
, dachte ich.
Ich sah Adam, wie er am Straßenrand verblutete, und verdrängte den Gedanken, konzentrierte mich auf nichts. Auf Leere.
In meinem Kopf drehte sich alles. Fragen. Fragen, die ich nicht zu stellen wagte, aus Angst, die Antworten könnten mich umbringen.
Wie war er als kleiner Junge, als Teenager, als Mann? Standen wir uns nahe? Haben wir uns gestritten? War er glücklich? War ich eine gute Mutter?
Und,
wie konnte der kleine Junge, der ein Plastikdreirad gefahren hat, auf der anderen Seite der Welt getötet werden?
»Was hatte er in Afghanistan zu suchen?«, sagte ich. »Warum war er dort?«
Ben erzählte mir, dass wir einen Krieg führen. Einen Krieg gegen den Terror, sagte er, obwohl ich nicht weiß, was das bedeutet. Er sagte, es habe einen Anschlag gegeben, einen schrecklichen Anschlag, in Amerika. Tausende sind ums Leben gekommen.
»Und deshalb stirbt mein Sohn in Afghanistan?«, sagte ich. »Ich versteh nicht …«
»Es ist kompliziert«, sagte er. »Er wollte immer zur Army. Er wollte seine Pflicht tun.«
»Seine Pflicht? Hast du das auch gedacht? Dass er seine Pflicht tut? Hab ich das gedacht? Wieso hast du ihm das nicht ausgeredet? Ihm gesagt, er soll was anderes machen? Irgendwas anderes?«
»Christine, er wollte es.«
Einen entsetzlichen Moment lang hätte ich fast gelacht. »Sich umbringen lassen? Wollte er das? Wieso? Ich hab ihn nicht mal gekannt.«
Ben schwieg. Er drückte meine Hand, und eine einzelne Träne lief mir übers Gesicht, brennend wie Säure, und dann wieder eine, und dann noch mehr. Ich wischte sie weg, aus Angst, wenn ich einmal losheulte, nie wieder aufhören zu können.
Ich spürte,
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