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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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etwas, will wissen, wie wir vorankommen, und wir beide antworten mit einem munteren »Prima!« und lachen. »Gleich sind wir fertig«, sagt der Fotograf und legt einen neuen Film ein. Die Journalistin hat sich eine Zigarette angezündet und ruft erneut etwas, fragt, ob wir einen Aschenbecher haben, nicht, ob es mich stört. Ich ärgere mich, aber nur leicht. Die Wahrheit ist, ich habe selbst Lust auf eine Zigarette, aber ich habe aufgehört, seit ich erfahren habe, dass –
    Ich sah mir erneut das Bild an, und plötzlich wusste ich es. Auf dem Foto bin ich schwanger.
     
    Mein Verstand setzte für einen Moment aus und raste dann wieder los. Er stolperte über sich selbst, blieb an den scharfen Kanten der Erkenntnis hängen, der Tatsache, dass ich ein Baby im Bauch hatte, als ich mich in dem Esszimmer ablichten ließ, und dass ich es gewusst hatte, dass ich glücklich darüber war.
    Es ergab keinen Sinn. Was war geschehen? Das Kind müsste jetzt – wie alt sein? Achtzehn? Neunzehn? Zwanzig?
    Aber es ist kein Kind da. Wo ist mein Sohn?
    Ich spürte, wie meine Welt erneut ins Schwanken geriet. Das Wort
Sohn
. Ich hatte es gedacht, es mir selbst gesagt, mit Gewissheit. Irgendwie, von irgendwo tief in mir drin, wusste ich, dass das Kind, mit dem ich schwanger gewesen war, ein Junge war.
    Ich umklammerte die Stuhlkante, um mich festzuhalten, und im selben Moment sprudelte ein weiteres Wort hoch und explodierte.
Adam
. Ich spürte, wie meine Welt aus einer Rille in eine andere rutschte.
    Ich hatte das Kind zur Welt gebracht. Wir hatten es Adam genannt.
    Ich stand auf, und der Umschlag mit dem Roman rutschte zu Boden. Mein Verstand raste, wie ein surrender Motor, der endlich angesprungen ist. Energie ballte sich in mir, als suche sie verzweifelt nach einem Ventil. Er fehlte auch in dem Sammelalbum im Wohnzimmer. Das wusste ich. Ich hätte mich daran erinnert, ein Foto von meinem eigenen Kind gesehen zu haben, als ich das Album heute Morgen durchblätterte. Ich hätte Ben gefragt, wer der Junge war. Ich hätte es in meinem Tagebuch erwähnt. Ich stopfte den Zeitungsausschnitt zusammen mit dem Buch zurück in den Umschlag und rannte nach oben. Im Bad stellte ich mich vor den Spiegel. Ich warf nicht mal einen Blick auf mein Gesicht, sondern sah mir die rings um den Spiegel geklebten Fotos aus der Vergangenheit an, die Fotos, die ich brauche, um mich selbst zu konstruieren, wenn mir die Erinnerung fehlt.
    Ich und Ben. Ich, allein, und Ben, allein. Wir zwei mit einem anderen Pärchen, älter, wahrscheinlich seine Eltern. Ich, wesentlich jünger, mit einem Schal, wie ich einen Hund streichele, lächelnd, glücklich. Aber nirgendwo Adam. Kein Baby, kein Kleinkind. Keine Fotos von seinem ersten Schultag oder einem Sportfest oder aus einem Urlaub. Keine Fotos von ihm, wie er am Strand eine Sandburg baut. Nichts.
    Es ergab keinen Sinn. Das sind doch schließlich Fotos, wie sie alle Eltern machen, die niemand wegwirft?
    Es muss welche geben
, dachte ich. Ich hob die Fotos an, um zu sehen, ob unter ihnen noch andere klebten, geschichtete Geschichte sozusagen. Nichts. Bloß die hellblauen Fliesen an der Wand, das glatte Glas des Spiegels. Leere.
    Adam. Das Wort wirbelte mir durch den Kopf. Meine Augen schlossen sich, und weitere Erinnerungen stürmten auf mich ein, jede einzelne schlug brutaler zu, schimmerte einen Moment lang, ehe sie wieder verschwand, die nächste auslöste. Ich sah Adam, sein blondes Haar, von dem ich wusste, dass es irgendwann braun werden würde, das Spiderman-T-Shirt, das er unbedingt tragen wollte, bis es ihm zu klein war und ausrangiert werden musste. Ich sah ihn in einem Kinderwagen, schlafend, und erinnere mich, wie ich dachte, dass er das perfekteste Baby war, das Perfekteste, was ich je gesehen hatte. Ich sah ihn auf einem blauen Plastikdreirad und wusste irgendwie, dass wir es ihm zum Geburtstag geschenkt hatten und dass er damit überall hinfuhr, wo wir es ihm erlaubten. Ich sah ihn in einem Park, den Kopf tief über den Lenker gebeugt, wie er grinsend einen abschüssigen Weg auf mich zugesaust kam und eine Sekunde später stürzte, weil das Vorderrad gegen irgendetwas auf dem Weg geprallt war und sich verdrehte, so dass er auf dem Boden aufschlug. Ich sah, wie ich ihn in den Armen hielt, während er weinte, ihm das Blut aus dem Gesicht wischte, einen Zahn von ihm neben dem Vorderrad fand, das sich noch immer drehte. Ich sah, wie er mir ein Bild zeigte, das er gemalt hatte – einen blauen Streifen für

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