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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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Mutter wären. Dann ist es Ihnen wieder eingefallen. Sie haben es Ben erzählt, und er hat Ihnen von Adam erzählt. Später am selben Tag haben Sie es mir erzählt.«
    Ich konnte mich an nichts davon erinnern. Ich machte mir klar, dass er nicht über eine Fremde sprach, sondern über mich.
    »Aber seitdem haben Sie mir nicht von ihm erzählt?«
    Er seufzte. »Nein –«
    Plötzlich erinnerte ich mich daran, was ich heute Morgen gelesen hatte, von den Bildern, die sie mir bei dem MRT gezeigt hatten.
    »Ich habe Fotos von ihm gesehen!«, sagte ich. »In dem MRT -Tunnel! Fotos …«
    »Ja«, sagte er. »Aus Ihrer Akte.«
    »Aber Sie haben ihn nicht erwähnt! Wieso? Ich versteh das nicht.«
    »Christine, Sie müssen sich klarmachen, dass ich Ihnen nicht zu Beginn jeder Sitzung alles erzählen kann, was ich weiß und Sie nicht. Außerdem fand ich in diesem Fall, dass es für Sie nicht unbedingt von Vorteil wäre.«
    »Von Vorteil?«
    »Nein. Ich wusste, es würde Sie sehr aufwühlen, von Ihrem Sohn zu erfahren und dass Sie ihn vergessen haben.«
    Wir fuhren in eine Tiefgarage. Das sanfte Tageslicht verschwand, wurde ersetzt durch grelles Neonlicht und den Geruch nach Benzin und Beton. Ich fragte mich, was er mir aus Gründen seines Berufsethos sonst noch alles verschwieg, was für Zeitbomben sonst noch in meinem Kopf ticken, kurz vor der Explosion.
    »Hab ich noch mehr –?«, sagte ich.
    »Nein«, fiel er mir ins Wort. »Sie hatten nur Adam. Er war Ihr einziges Kind.«
    War
. Dann wusste Dr. Nash also auch, dass Adam tot war. Ich wollte nicht fragen, wusste aber, dass ich keine Wahl hatte.
    Ich zwang mich zu sprechen. »Sie wissen, dass er getötet wurde?«
    Er parkte den Wagen und stellte den Motor ab. Die Tiefgarage lag im Halbdunkel, war nur an den Stellen erhellt, wo Neonlampen hingen, und es war still. Ich hörte nichts außer einem gelegentlichen Türenknallen, dem Rattern eines Aufzugs. Einen Moment dachte ich, es gäbe noch eine Chance. Vielleicht irrte ich mich. Adam war am Leben. Der Gedanke beschwingte mich. Adam war mir so real erschienen, als ich heute Morgen von ihm las, sein Tod dagegen kam mir noch immer nicht real vor. Ich versuchte, mir vorzustellen oder mich zu erinnern, wie das gewesen sein musste, als mir die Nachricht von seinem Tod überbracht wurde, doch es gelang mir nicht. Es kam mir nicht richtig vor. Ich hätte doch von Trauer überwältigt sein müssen. Jeder Tag hätte erfüllt sein müssen von Schmerz, von Sehnsucht, von dem Wissen, dass ein Teil von mir gestorben ist und ich nie wieder ganz sein werde. Die Liebe zu meinem Sohn müsste doch so stark sein, dass ich mich an meinen Verlust erinnern könnte. Wenn er wirklich tot wäre, dann müsste meine Trauer doch eine noch größere Kraft sein als meine Amnesie.
    Ich begriff, dass ich meinem Mann nicht glaubte. Ich glaubte nicht, dass mein Sohn tot war. Einen Moment lang hing mein Glück in der Schwebe, doch dann sprach Dr. Nash.
    »Ja«, sagte er. »Ich weiß es.«
    Die Spannung entlud sich in mir wie eine winzige Explosion, schlug in das Gegenteil von Freude um. In etwas Schlimmeres als Enttäuschung. In etwas Zerstörerisches, durchsetzt von Schmerz.
    »Wie …?«, war alles, was ich herausbrachte.
    Er erzählte mir die gleiche Geschichte wie Ben. Adam, als Soldat in Afghanistan. Eine Bombe am Straßenrand. Ich hörte zu, entschlossen, die Kraft zu finden, nicht zu weinen. Als er fertig war, trat Stille ein, ein Moment des Schweigens, dann legte er seine Hand auf meine.
    »Christine«, sagte er. »Es tut mir so leid.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich sah ihn an. Er beugte sich zu mir. Ich schaute auf seine Hand, die meine bedeckte und ganz verkratzt war. Ich sah ihn bei sich zu Hause vor mir. Wie er mit einem Kätzchen spielte, vielleicht mit einem kleinen Hund. Ein normales Leben führte.
    »Mein Mann erzählt mir nicht von Adam«, sagte ich. »Er bewahrt alle Fotos von ihm in einer verschlossenen Metallschatulle auf. Zu meinem eigenen Schutz.« Dr. Nash sagte nichts. »Warum macht er das?«
    Er blickte zum Fenster hinaus. Ich sah das Wort
Fotze
auf die Wand vor mir gesprüht. »Ich möchte Ihnen die gleiche Frage stellen. Was glauben
Sie
, warum er das macht?«
    Ich überlegte. Ich dachte an alle Gründe, die mir einfielen. Damit er mich kontrollieren kann. Macht über mich hat. Damit er mir genau das vorenthalten kann, das mir das Gefühl geben könnte, vollständig zu sein. Ich merkte, dass ich nichts davon für

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