Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
Seife und warmem Metall. Es gerann nicht. Ich ließ das Blut an der nun glatten Haut hinunterlaufen, wischte es dann mit einem feuchten Papiertuch weg.
Zurück im Schlafzimmer zog ich Strumpfhosen und ein enges schwarzes Kleid an. Ich wählte aus der Schatulle auf dem Frisiertisch eine goldene Halskette aus, dazu passende Ohrringe. Ich setzte mich an den Tisch und schminkte mich, machte mir Locken und sprühte Festiger ins Haar. Ich tupfte mir Parfüm auf die Handgelenke und hinter die Ohren. Und währenddessen schwebte die ganze Zeit eine Erinnerung durch mich hindurch. Ich sah mich, wie ich Strümpfe an meinen Beinen hochrollte, sie an einem Strumpfgürtel befestigte, einen BH anzog, aber ich war eine andere, in einem anderen Raum. Der Raum war still. Musik spielte, aber leise, und in der Ferne konnte ich Stimmen hören, Türen, die auf- und zugingen, schwaches Verkehrsrauschen. Ich fühlte mich gelassen und glücklich. Ich drehte mich zum Spiegel, musterte mein Gesicht im Kerzenschein.
Nicht schlecht
, dachte ich.
Wirklich nicht schlecht.
Die Erinnerung blieb knapp außer Reichweite. Sie schimmerte, unter der Oberfläche, und obwohl ich Einzelheiten sehen konnte, Bilder erhaschte, Augenblicke, lag sie zu tief, um zu erkennen, wohin sie führte. Ich sah eine Champagnerflasche auf einem Nachttisch. Zwei Gläser. Einen Strauß Blumen auf dem Bett, eine Karte. Ich sah, dass ich in einem Hotelzimmer war, allein, und auf den Mann wartete, den ich liebe. Ich hörte ein Klopfen, sah mich selbst, wie ich aufstand, zur Tür ging, doch dann war Schluss, als hätte ich ferngesehen und die Übertragung wäre plötzlich unterbrochen worden. Ich blickte auf und sah mich wieder in meinem Schlafzimmer zu Hause. Obwohl die Frau, die ich im Spiegel sah, eine Fremde war, deren Fremdheit durch das Make-up und die elegante Frisur noch ausgeprägter war, als sie es ohnehin schon sein musste, fühlte ich mich bereit. Wozu, konnte ich nicht sagen, aber ich fühlte mich bereit. Bereit für meinen Mann, den Mann, den ich geheiratet hatte, den Mann, den ich liebte.
Liebe
, korrigierte ich mich.
Den Mann, den ich liebe.
Ich hörte seinen Schlüssel im Schloss, die Tür aufgehen, das Abputzen von Schuhen auf der Matte. Ein Pfeifen? Oder war das mein Atem gewesen, hart und schwer?
Eine Stimme. »Christine? Christine, wo bist du?«
»Hier«, erwiderte ich. »Ich bin hier.«
Ein Husten, das Geräusch, wie er seinen Anorak aufhängte, seine Aktentasche abstellte.
Er rief nach oben. »Alles in Ordnung? Ich hab dich angerufen. Eine Nachricht hinterlassen.«
Das Knarren von Treppenstufen. Einen Moment lang dachte ich, er würde schnurstracks ins Bad gehen oder in sein Arbeitszimmer, ohne vorher zu mir hereinzuschauen, und ich kam mir albern vor, lächerlich, weil ich mich so zurechtgemacht hatte und in den Klamotten einer anderen auf meinen Ehemann wartete, mit dem ich seit wer weiß wie vielen Jahren verheiratet war. Am liebsten hätte ich die Sachen wieder ausgezogen, mich abgeschminkt und mich zurück in die Frau verwandelt, die ich bin, doch dann hörte ich ein Ächzen, als er einen Schuh auszog, dann den anderen, und mir wurde klar, dass er sich hingesetzt hatte, um seine Hausschuhe anzuziehen. Die Treppe knarrte erneut, und er kam ins Schlafzimmer.
»Liebling –«, begann er und verstummte. Sein Blick glitt über mein Gesicht, meinen Körper hinunter, wieder hoch zu meinen Augen. Ich konnte ihm nicht ansehen, was er dachte.
»Donnerwetter«, sagte er. »Du siehst –« Er schüttelte den Kopf.
»Ich hab das Kleid hier entdeckt«, sagte ich. »Ich dachte, ich werf mich ein bisschen in Schale. Schließlich ist Freitagabend. Wochenende.«
»Ja«, sagte er, noch immer an der Tür. »Ja. Aber …«
»Willst du nicht mehr ausgehen?«
Ich stand auf und ging zu ihm. »Küss mich«, sagte ich, und obwohl ich es nicht direkt geplant hatte, fand ich es irgendwie richtig, und so legte ich meine Arme um seinen Hals. Er roch nach Seife und Schweiß und Arbeit. Süß, wie Buntstifte. Eine Erinnerung schwebte durch mich hindurch – wie ich mit Adam auf dem Boden kniete, malte –, aber sie blieb nicht.
»Küss mich«, sagte ich wieder. Seine Hände umfassten meine Taille.
Unsere Lippen berührten sich. Streiften einander zunächst nur. Ein Gutenacht- oder Abschiedskuss, wie man sich in der Öffentlichkeit küsst oder die eigene Mutter. Ich zog meine Arme nicht zurück, und er küsste mich wieder. Genauso.
»Küss mich, Ben«, sagte ich.
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