Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
Eine Frau schaute auf, als ich an ihrem Zimmer vorbeikam, und obwohl unsere Blicke sich trafen, blieben ihre Augen ausdruckslos. Stattdessen ohrfeigte sie sich, während sie mich weiter ansah, und als ich zusammenzuckte, schlug sie sich erneut. Eine Vision huschte durch mich hindurch – ein Zoobesuch als Kind, wie ich einen Tiger im Käfig auf und ab gehen sehe –, doch ich schob sie beiseite und ging weiter, entschlossen, nicht nach links oder rechts zu schauen.
»Wie bin ich hierhergekommen?«, wollte ich wissen.
»Bevor Sie herkamen, waren Sie auf der allgemeinen Station im Krankenhaus. In einem Bett, wie alle anderen auch. Manchmal hat Ben Sie übers Wochenende nach Hause geholt. Aber Sie wurden immer schwieriger.«
»Schwieriger?«
»Sie sind umhergeirrt. Ben sah sich irgendwann gezwungen, die Haustüren abzuschließen. Sie wurden ein paarmal hysterisch, waren überzeugt, er hätte Ihnen etwas getan, Sie gegen Ihren Willen eingeschlossen. Wenn Sie dann wieder im Krankenhaus waren, ging es eine Zeitlang gut, aber dann fingen Sie an, auch dort ähnliche Verhaltensweisen zu zeigen.«
»Und deshalb mussten sie eine sichere Verwahrung für mich finden«, sagte ich.
Wir gelangten zu einem Schwesternzimmer. Ein Mann in Krankenhausmontur saß an einem Schreibtisch und gab etwas in einen Computer ein. Er blickte auf, als wir kamen, und sagte, die Ärztin hätte gleich Zeit für uns. Er bat uns, Platz zu nehmen. Ich musterte sein Gesicht – die schiefe Nase, den goldenen Ohrstecker –, hoffte, dass irgendetwas einen Funken Vertrautheit entzünden würde. Doch nichts. Alles blieb mir völlig fremd.
»Ja«, sagte Dr. Nash. »Einmal waren Sie verschwunden. Volle viereinhalb Stunden lang. Die Polizei griff Sie dann auf, unten an einem von den Kanälen. Sie waren nur mit Pyjama und Bademantel bekleidet. Ben musste Sie von der Wache abholen. Sie wollten mit keiner der Schwestern mitgehen. Es gab keine andere Möglichkeit. Man hat Sie hierhergebracht.«
Er erzählte mir, dass Ben sofort alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, um mich verlegen zu lassen. »Er fand, dass die Psychiatrie nicht die beste Lösung für Sie war. Und eigentlich hatte er recht. Sie waren keine Gefahr, weder für sich noch für andere. Es ist sogar möglich, dass der Umgang mit Leuten, die noch ernster erkrankt waren als Sie, Ihren Zustand weiter verschlechterte. Er schrieb an die Ärzte, die Klinikleitung, den Abgeordneten Ihres Wahlkreises. Aber es gab keine verfügbare Alternative. Und dann«, sagte er, »machte eine Einrichtung für Menschen mit schweren Hirnverletzungen auf. Ben setzte Himmel und Hölle in Bewegung, damit Sie aufgenommen würden, und Sie wurden begutachtet und für geeignet befunden, doch es gab Geldprobleme. Ben hatte seine Arbeit vorübergehend aufgegeben, weil er sich um Sie kümmern musste, und konnte die Kosten nicht allein tragen, aber er ließ sich nicht abwimmeln. Offenbar drohte er, mit Ihrer Geschichte an die Presse zu gehen. Es gab Besprechungen und Petitionen und so weiter, und schließlich übernahm der Staat die Kosten für die gesamte Dauer Ihrer Erkrankung, und Sie wurden aufgenommen. Das war vor gut zehn Jahren.«
Ich dachte an meinen Mann, versuchte, mir vorzustellen, wie er Briefe schrieb, eine Kampagne führte, drohte. Es kam mir unwahrscheinlich vor. Der Mann, den ich am Morgen kennengelernt hatte, wirkte bescheiden, unterwürfig. Nicht unbedingt schwach, aber nachgiebig. Er machte nicht den Eindruck eines Menschen, der Wellen schlug.
Offenbar
, so dachte ich,
hat sich nicht nur mein Charakter durch meine Verletzung verändert
.
»Die Einrichtung war relativ klein«, sagte Dr. Nash. »Eine überschaubare Anzahl von Zimmern in einem Rehazentrum. Es gab nicht viele andere Patienten. Aber reichlich Personal. Sie konnten sich dort etwas freier bewegen. Sie waren sicher. Sie machten Fortschritte.«
»Aber Ben war nicht bei mir?«
»Nein. Er wohnte zu Hause. Er musste wieder arbeiten, und da konnte er sich nicht zusätzlich um Sie kümmern. Er beschloss –«
Eine Erinnerung durchzuckte mich, riss mich unvermittelt zurück in die Vergangenheit. Alles war leicht unscharf und verschleiert, und die Bilder waren so hell, dass ich am liebsten weggeschaut hätte. Ich sah mich durch die Korridore hier gehen, wie ich zurück zu einem Zimmer geführt werde, von dem ich vage weiß, dass es meines ist. Ich trage Pantoffeln, ein blaues Nachthemd, das sich auf dem Rücken zubinden lässt. Die Frau bei mir ist
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