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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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fragen, welche Eissorten mir am besten schmecken. Eine Ungezwungenheit, die nur gespielt sein konnte.
    »Lassen Sie hören«, sagte ich.
    »Ich glaube, es wäre hilfreich, wenn Sie die Psychiatrie besuchen würden, in die Sie eingewiesen wurden«, sagte er. »Den Ort, an dem Sie so viele Jahre verbracht haben.«
    Meine Reaktion war spontan. Instinktiv. »Nein!«, sagte ich. »Wieso?«
    »Sie haben wieder Erinnerungen«, sagte er. »Denken Sie daran, was passiert ist, als wir Ihr ehemaliges Haus besucht haben.« Ich nickte. »Da haben Sie sich an etwas erinnert. Ich glaube, das könnte noch einmal passieren. Wir könnten weitere Erinnerungen auslösen.«
    »Aber –«
    »Sie müssen nicht. Aber … hören Sie. Ich will ehrlich sein. Ich habe schon alles arrangiert. Die Mitarbeiter würden sich freuen, uns zu sehen. Uns beide. Jederzeit. Ich müsste nur anrufen und sagen, dass wir unterwegs sind. Ich würde mit Ihnen reingehen. Falls es Sie unter Stress setzt oder irgendwie unangenehm für Sie wird, können wir wieder gehen. Es wird gut laufen. Versprochen.«
    »Sie glauben, es könnte mir helfen, wieder gesund zu werden? Im Ernst?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Aber es ist möglich.«
    »Wann? Wann wollen Sie hinfahren?«
    Er blieb stehen. Mir wurde klar, dass sein Wagen derjenige sein musste, neben dem wir standen.
    »Heute«, sagte er. »Ich denke, wir sollten noch heute hinfahren.« Und dann sagte er etwas Merkwürdiges. »Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
    ***
    Ich musste nicht dort hinfahren. Dr. Nash setzte mich nicht unter Druck. Doch obwohl ich mich nicht daran erinnern kann, zugestimmt zu haben – eigentlich kann ich mich an kaum etwas erinnern –, muss ich es wohl getan haben.
    Die Fahrt dauerte nicht lange, und wir schwiegen. Mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können, und ich spürte auch nichts. Mein Kopf war leer. Ausgehöhlt. Ich holte mein Tagebuch aus der Handtasche – ohne mich darum zu scheren, dass ich Dr. Nash gesagt hatte, ich hätte es nicht dabei – und schrieb jenen letzten Eintrag. Ich wollte unser Gespräch haarklein festhalten. Ich schrieb, schweigend, fast ohne zu denken, und wir sprachen kein Wort, als wir den Wagen parkten und dann über die sterilen Korridore gingen, wo es nach abgestandenem Kaffee und frischer Farbe roch. Patienten auf Rolltragen, am Tropf, wurden an uns vorbeigeschoben. Plakate lösten sich von den Wänden. Neonlampen an den Decken flackerten und summten. Ich konnte nur an die sieben Jahre denken, die ich hier verbracht hatte. Es kam mir vor wie ein ganzes Leben; ein Leben, an das ich keine Erinnerung hatte.
    Wir blieben vor einer Doppeltür stehen. Station Fisher. Dr. Nash drückte eine Taste an einer Sprechanlage an der Wand und murmelte etwas hinein.
Er irrt sich
, dachte ich, als die Tür aufschwang.
Ich habe diesen Angriff nicht überlebt. Die Christine Lucas, die die Hotelzimmertür geöffnet hat, ist tot.
    Eine weitere Doppeltür. »Alles in Ordnung, Christine?«, fragte er, als die erste Tür hinter uns zufiel, uns einsperrte. Ich sagte nichts. »Das hier ist die geschlossene Abteilung.« Plötzlich überfiel mich die Überzeugung, dass die Tür hinter mir sich für immer geschlossen hatte, dass ich hier nicht mehr rauskommen würde.
    Ich schluckte. »Verstehe«, sagte ich. Die innere Tür öffnete sich. Ich wusste nicht, was ich dahinter sehen würde, konnte nicht fassen, dass ich einmal hier gewesen war.
    »Alles klar?«, fragte er.
    Ein langer Korridor mit Türen auf beiden Seiten. Als wir an ihnen vorbeigingen, sah ich, dass sie Glasfenster hatten, durch die man in die Räume dahinter schauen konnte. In jedem Raum stand ein Bett, manche gemacht, manche ungemacht, manche belegt, manche nicht.
    »Die Patienten hier leiden an unterschiedlichen Störungen«, sagte Dr. Nash. »Viele zeigen schizoaffektive Symptome, doch einige leiden an Bipolarität, akuten Angstzuständen, Depressionen.«
    Ich schaute durch ein Fenster. Eine junge Frau saß auf dem Bett, nackt, und starrte den Fernseher an. In einem anderen Zimmer wiegte sich ein Mann in der Hocke vor und zurück, die Arme um den Oberkörper geschlungen, als wollte er sich vor Kälte schützen.
    »Sind sie eingesperrt?«, fragte ich.
    »Die Patienten hier wurden offiziell eingewiesen. Gegen ihren Willen, aber in ihrem eigenen Interesse.«
    »In ihrem eigenen Interesse?«
    »Ja. Sie sind eine Gefahr für sich oder andere. Sie müssen sicher verwahrt werden.«
    Wir gingen weiter.

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