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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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könnte wirklich etwas bringen, dorthin zurückzukehren …«
    »Nein«, sagte ich. »Nein. Ich will nichts davon hören.«
    »Wir können zusammen hinfahren. Ihnen würde nichts passieren. Das verspreche ich. Wenn Sie noch einmal dort wären … in Brighton –«
    »Nein.«
    »– dann erinnern Sie sich vielleicht –«
    »Nein! Bitte!«
    »– es könnte etwas bringen.«
    Ich blickte nach unten auf meine Hände, faltete sie im Schoß.
    »Ich kann da nicht noch mal hin«, sagte ich. »Ich kann einfach nicht.«
    Er seufzte. »Okay«, sagte er. »Vielleicht sprechen wir ein anderes Mal darüber?«
    »Nein«, flüsterte ich. »Ich kann nicht.«
    »Okay«, sagte er. »Okay.«
    Er lächelte, wirkte aber enttäuscht. Ich wollte ihm unbedingt irgendetwas bieten, damit er mich nicht aufgab. »Dr. Nash?«, sagte ich.
    »Ja?«
    »Neulich hab ich ins Tagebuch geschrieben, dass mir etwas eingefallen war. Vielleicht ist es ja wichtig. Ich weiß nicht.«
    Er sah mich an.
    »Und was?« Unsere Knie berührten sich. Keiner von uns wich zurück.
    »Als ich aufgewacht bin«, sagte ich, »wusste ich irgendwie, dass ich mit einem Mann im Bett lag. Ich hab mich an einen Namen erinnert. Aber der Name war nicht Ben. Ich hab mich gefragt, ob es der Name des Mannes war, mit dem ich die Affäre hatte. Der Mann, der mich angegriffen hat.«
    »Durchaus möglich«, sagte er. »Das könnte das erste Zeichen dafür gewesen sein, dass die verdrängte Erinnerung langsam an die Oberfläche steigt. Wie ist der Name?«
    Plötzlich wollte ich es ihm nicht mehr erzählen, wollte den Namen nicht aussprechen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich würde es damit real machen, meinen Angreifer zurück in die Wirklichkeit holen. Ich schloss die Augen.
    »Ed«, flüsterte ich. »Ich habe mir vorgestellt, neben jemandem namens Ed aufzuwachen.«
    Schweigen. Ein Herzschlag, der ewig zu währen schien.
    »Christine«, sagte er. »Das ist mein Name. Ich heiße Ed. Ed Nash.«
    Einen Moment lang konnte ich nicht klar denken. Mein erster Gedanke war, dass er mich damals angegriffen hatte. »Was?«, sagte ich panisch.
    »Das ist mein Vorname. Ich habe ihn Ihnen schon mal genannt. Vielleicht haben Sie ihn nie aufgeschrieben. Ich heiße Edmund. Ed.«
    Ich begriff, dass er es nicht gewesen sein konnte. Er war damals ja kaum auf der Welt.
    »Aber –«
    »Sie haben vermutlich konfabuliert«, sagte er. »Sie wissen schon. Was Dr. Wilson erklärt hat?«
    »Ja«, sagte ich. »Ich –«
    »Oder vielleicht hatte der Mann, der Sie angegriffen hat, denselben Namen?«
    Er lachte, als er das sagte, wollte die Situation herunterspielen, doch dadurch verriet er, dass er sich bereits dachte, was mir erst später – als er mich nach Hause gebracht hatte – klarwurde. Ich war an dem Morgen glücklich aufgewacht. Glücklich, weil ich mit jemandem namens Ed im Bett lag. Aber es war keine Erinnerung gewesen. Sondern eine Phantasie. Mit diesem Mann namens Ed aufzuwachen, war nicht etwas, was ich in der Vergangenheit erlebt hatte, sondern etwas, was ich in der Zukunft erleben wollte – obwohl mein bewusster, wacher Verstand nicht wusste, wer der Mann war. Ich wollte mit Dr. Nash schlafen.
    Und jetzt habe ich es ihm versehentlich, unabsichtlich gesagt. Ich habe verraten, was ich offenbar für ihn empfinde. Er reagierte natürlich professionell. Wir taten beide so, als würden wir der Sache keine Bedeutung beimessen, und verrieten gerade dadurch, wie bedeutsam sie doch war. Wir gingen zurück zum Wagen, und er fuhr mich nach Hause. Wir plauderten über Alltägliches. Das Wetter. Ben. Es gibt nur wenige Themen, über die wir reden können; schließlich bin ich aus ganzen Erfahrungsbereichen komplett ausgeschlossen. Irgendwann sagte er: »Wir gehen heute Abend ins Theater«, und mir fiel der Plural auf, den er mit Bedacht benutzte.
Keine Angst
, hatte ich schon auf der Zunge.
Ich kenne meinen Platz
. Doch ich sagte nichts. Er sollte nicht denken, ich wäre verbittert.
    Er sagte, er würde mich morgen anrufen. »Vorausgesetzt, Sie wollen überhaupt weitermachen?«
    Ich weiß, dass ich jetzt nicht aufhören kann. Nicht ehe ich die Wahrheit kenne. Das bin ich mir selbst schuldig, sonst lebe ich nur ein halbes Leben. »Ja«, sagte ich. »Ich will.« Auf jeden Fall brauche ich ihn, damit er mich daran erinnert, in mein Tagebuch zu schreiben.
    »Okay«, sagte er. »Gut. Beim nächsten Mal sollten wir einen weiteren Ort aus Ihrer Vergangenheit besuchen.« Er warf mir einen Seitenblick zu.

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