Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
Vom Netzwerk:
»Keine Sorge. Nicht dahin. Ich denke, wir sollten zu der Einrichtung fahren, in die Sie von der Psychiatrie aus verlegt wurden. Sie heißt Waring House.« Ich sagte nichts. »Es liegt ziemlich in Ihrer Nähe. Soll ich da anrufen?«
    Ich überlegte einen Moment, fragte mich, was es nützen könnte, kam aber zu dem Schluss, dass ich keine anderen Möglichkeiten habe und alles besser ist als gar nichts.
    Ich sagte: »Ja. Ja, rufen Sie an.«

Dienstag, 20. November
    Es ist Vormittag. Ben hat vorgeschlagen, ich soll die Fenster putzen.
    »Ich hab’s an die Tafel geschrieben«, sagte er, als er in sein Auto stieg. »In der Küche.«
    Ich sah nach.
Fenster putzen
, hatte er geschrieben, mit einem zaghaften Fragezeichen dahinter. Ich fragte mich, ob er dachte, ich hätte vielleicht keine Zeit, fragte mich, was er glaubte, was ich den ganzen Tag über tat. Er weiß nicht, dass ich inzwischen Stunden brauche, um mein Tagebuch zu lesen, und manchmal noch ein paar Stunden mehr, um alles Neue aufzuschreiben. Er weiß nicht, dass ich mich an manchen Tagen mit Dr. Nash treffe.
    Ich frage mich, womit ich mich vorher tagsüber beschäftigt habe. Habe ich wirklich meine Zeit damit verbracht, vor dem Fernseher zu sitzen oder spazieren zu gehen oder Dinge im Haushalt zu erledigen? Habe ich Stunde für Stunde im Sessel gesessen und dem Ticken der Uhr gelauscht, mich gefragt, wie ich leben sollte?
    Fenster putzen
. Möglicherweise ärgere ich mich an manchen Tagen, wenn ich dergleichen an der Tafel lese, weil ich mich dadurch kontrolliert fühle, aber heute war ich fast gerührt, sah darin nichts Böses, sondern nur den Wunsch, mir etwas zu tun zu geben. Ich lächelte vor mich hin, doch zugleich dachte ich, wie schwierig es sein muss, mit mir zu leben. Er muss sich ungeheuer bemühen, für meine Sicherheit zu sorgen, und doch ständig befürchten, dass ich verwirrt werde, draußen herumirre oder Schlimmeres. Ich erinnerte mich, in meinem Tagebuch von dem Brand gelesen zu haben, der fast unsere ganze Vergangenheit vernichtet hat, dem Brand, den ich verursacht haben muss, auch wenn Ben mir das nie erzählt hat. Ich hatte eine Vision – eine brennende Tür, fast unsichtbar in dem dichten Rauch, ein Sofa, das zerschmolz wie Wachs –, die zum Greifen nah vor meinem geistigen Auge schwebte, sich aber einfach nicht in eine Erinnerung verwandeln wollte und ein halbeingebildeter Traum blieb. Doch Ben hat mir das verziehen, dachte ich, genau wie er mir so vieles mehr verziehen haben muss. Ich blickte durchs Küchenfenster nach draußen und sah durch die Spiegelung meines Gesichts den gemähten Rasen, die ordentlich geschnittenen Kanten, den Schuppen, die Zäune. Ich begriff, dass Ben von meiner Affäre gewusst haben musste – ganz sicher, nachdem ich in Brighton gefunden worden war, wenn nicht schon früher. Wie viel Kraft es ihn gekostet haben musste, sich um mich zu kümmern – nach meinem Gedächtnisverlust –, erst recht mit dem Wissen, dass ich, als es passierte, von zu Hause weg gewesen war, um mit einem anderen Mann zu vögeln. Ich dachte daran, was ich gesehen hatte, an die von mir geschriebenen Tagebucheinträge. Mein Verstand war zersplittert worden. Zerstört. Dennoch hatte Ben zu mir gestanden, wo ein anderer Mann vielleicht gesagt hätte, dass ich das alles verdiente, und mich hätte verrotten lassen.
    Ich wandte mich vom Fenster ab und schaute unter die Spüle. Putzzeug. Spülmittel. Packungen mit Pulver, Plastiksprühflaschen. Ich sah einen roten Plastikeimer und füllte ihn mit heißem Wasser, gab einen Spritzer Spülmittel und einen Tropfen Essig hinein.
Wie habe ich es ihm gedankt?
, dachte ich. Ich nahm einen Schwamm und fing an, die Fenster einzuseifen, von oben nach unten. Ich schleiche in London herum, treffe mich mit Ärzten, lasse MRT s machen, besuche unser ehemaliges Haus und die Kliniken, in denen ich nach meinem Unfall behandelt worden bin, ohne ihm etwas davon zu sagen. Und warum? Weil ich ihm nicht vertraue? Weil er beschlossen hat, mich vor der Wahrheit zu schützen, mir das Leben so einfach und leicht wie möglich zu machen? Ich sah zu, wie das Seifenwasser in kleinen Rinnsalen herunterlief, sich unten sammelte, nahm dann einen trockenen Lappen und polierte das Fenster, bis es glänzte.
    Jetzt weiß ich, dass die Wahrheit noch schlimmer ist. Heute Morgen war ich mit einem überwältigenden Schuldgefühl aufgewacht, und die Worte
Du solltest dich schämen
wirbelten mir durch den Kopf.
Das wird dir noch

Weitere Kostenlose Bücher