Ich. Darf. Nicht. Schlafen.
dann wirbele ich herum und falle, oder der Fußboden hebt sich mir entgegen, keine Ahnung. Er packt mich an den Haaren und schleift mich zur Tür. Ich drehe den Kopf, um sein Gesicht zu sehen.
Und an der Stelle lässt mein Gedächtnis mich wieder im Stich. Ich erinnere mich zwar, ihm ins Gesicht geblickt zu haben, weiß aber nicht, was ich gesehen habe. Es ist konturlos, leer. Als wäre mein Verstand unfähig, dieses Vakuum zu verkraften, spult er Gesichter ab, die ich kenne, so absurd die Möglichkeiten auch sind. Ich sehe Dr. Nash. Dr. Wilson. Den Mann in der Psychiatrie, der uns begrüßt hatte. Meinen Vater. Ben. Ich sehe sogar mein eigenes Gesicht, lachend, während ich eine Faust hebe, um zuzuschlagen.
Bitte,
schreie ich
, bitte nicht.
Doch mein vielgesichtiger Angreifer schlägt trotzdem zu, und ich schmecke Blut. Er schleift mich über den Fußboden, und dann bin ich im Bad, auf den kalten schwarzweißen Fliesen. Der Boden ist feucht von Kondenswasser, der Raum riecht nach Orangenblüten, und ich erinnere mich, dass ich mich darauf gefreut hatte, ein Bad zu nehmen, mich schön zu machen, mir vorgestellt hatte, ich läge vielleicht noch in der Wanne, wenn er käme, und dass er sich dann zu mir gesellen könnte und wir uns in der Wanne lieben würden, bis das seifige Wasser überschwappen, den Fußboden klatschnass machen würde, unsere Kleidung, alles. Denn nach all den Monaten voller Zweifel ist mir endlich klargeworden, dass ich diesen Mann liebe. Endlich weiß ich es. Ich liebe ihn.
Mein Kopf schlägt auf den Boden. Einmal, zweimal, ein drittes Mal. Ich sehe alles verschwommen und doppelt, dann wieder scharf. Ein Summen in meinen Ohren, und er ruft etwas, aber ich kann nicht hören, was. Es hallt, als gäbe es zwei von ihm, als würden mich beide festhalten, mir den Arm verdrehen, mich an den Haaren reißen, während sie auf meinem Rücken knien. Ich flehe ihn an, mich loszulassen, und es gibt auch mich zweimal. Ich schlucke. Blut.
Mein Kopf schnellt ruckartig nach hinten. Panik. Ich bin auf den Knien. Ich sehe Wasser, Schaum, der schon dünner wird. Ich versuche zu sprechen, aber es geht nicht. Seine Hand ist um meinen Hals, und ich kann nicht atmen. Ich werde nach vorne gedrückt, tiefer, tiefer, so schnell, dass ich denke, ich werde niemals bremsen können, und dann ist mein Kopf im Wasser. Orangenblüten in meiner Kehle.
Ich hörte eine Stimme. »Christine!«, rief sie. »Christine! Bleiben Sie stehen!« Ich öffnete die Augen. Irgendwie war ich nicht mehr in dem Wagen. Ich rannte. Durch den Park, so schnell ich konnte, und hinter mir rannte Dr. Nash.
Wir setzten uns auf eine Bank. Holzbretter auf Beton. Eines fehlte, und die restlichen bogen sich unter uns. Ich spürte die Sonne im Nacken, sah ihre langen Schatten auf der Erde. Die Jungen kickten noch immer, obwohl das Fußballspiel zu Ende sein musste; einige verließen bereits die Wiese, andere unterhielten sich, einer von den Jackenhaufen war entfernt worden, das Tor nicht mehr zu erkennen. Dr. Nash hatte mich gefragt, was passiert war.
»Ich hab mich an was erinnert«, sagte ich.
»An den Abend, als Sie angegriffen wurden?«
»Ja«, sagte ich. »Wie kommen Sie darauf?«
»Sie haben geschrien«, sagte er. »Sie haben gesagt, ›Lass mich los‹, immer wieder.«
»Es war, als würde ich alles noch einmal erleben«, sagte ich. »Tut mir leid.«
»Bitte entschuldigen Sie sich nicht. Wollen Sie mir erzählen, was Sie gesehen haben?«
Nein, eigentlich wollte ich es nicht. Mir war, als würde ein uralter Instinkt mir sagen, dass ich diese Erinnerung besser für mich behielt. Aber ich brauchte seine Hilfe, wusste, dass ich ihm vertrauen konnte. Ich erzählte ihm alles.
Als ich fertig war, schwieg er einen Moment, dann sagte er: »Sonst noch was?«
»Nein«, sagte ich. »Ich glaube nicht.«
»Sie erinnern sich nicht daran, wie er aussah? Der Mann, der Sie angegriffen hat?«
»Nein. Sein Gesicht kann ich überhaupt nicht sehen.«
»Auch nicht an seinen Namen?«
»Nein«, sagte ich. »Nichts.« Ich zögerte. »Meinen Sie, es würde mir helfen, wenn ich weiß, wer mir das angetan hat? Wenn ich ihn sehe? Mich an ihn erinnere?«
»Christine, das ist kein richtiger Beweis. Es gibt keinen Beleg dafür, dass es wahr ist.«
»Aber es könnte sein?«
»Es scheint eine Ihrer am stärksten verdrängten Erinnerungen zu sein –«
»Also könnte es sein?«
Er schwieg, dann sagte er: »Ich hab den Vorschlag schon einmal gemacht, aber es
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