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Ich darf nicht vergessen

Ich darf nicht vergessen

Titel: Ich darf nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice LaPlante
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immer wieder einen Vorwand, um nach der Vorlesung in mein Zimmer zu kommen. Einmal hat er so getan, als hätte er die Grundlagen der Sehnenverpflanzung nicht verstanden. Ein andermal wollte er von mir etwas über Hauttransplantation wissen, das einfachste Verfahren.
    Einmal hat er mir ein Rätsel aufgegeben, und ich habe sogar geantwortet, ohne zu merken, dass es ein Witz war. Was sagt man einem Patienten, der einem erzählt, Herr Doktor, wenn ich das und das mache, tut es weh? Gedankenabwesend habe ich ihm geantwortet: Sagen Sie ihm, er soll damit aufhören. Er hat gelacht, und ich habe ihn zum ersten Mal angeschaut.
    Man fühlt sich jung. Man fühlt sich alt. Man fühlt sich mächtig. Man ist verletzlich.
    Es war nichts davon. Ich hatte keine Schuldgefühle. Ich habe mich nicht geschämt. Und das nicht nur wegen James’Verhalten. Ich wollte es voll auskosten. Es war eine ganz neue Erfahrung.
    Normalerweise schlägt man nicht alle Türen zu. Reißt nicht alle Brücken ein. Man nimmt keinen hoffnungslosen Fall an. Vergewissert sich, dass man eine Notlösung in petto hat. In diesem Fall gab es keine.
    H allo, alte Freundin.
    Ein Mann mit Halbglatze, asiatischen Zügen und einem starken Bronx-Akzent steht neben meinem Stuhl. Er lächelt mich auf vertraute Weise an. Das heißt, er lächelt, als erwartete er, dass er mir vertraut ist. Ist er nicht.
    Kenne ich Sie?
    Ich sage das ganz kalt. Ich tue nicht mehr so als ob. Kein Lächeln für Fremde.
    Carl. Carl Tsien. Wir waren Kollegen. Am Quicken St. Matthews Medical Center. Ich war auf der Inneren, du auf der Orthopädie.
    Klingt plausibel, sage ich.
    Ah, du bist vorsichtig. Willst dich nicht festlegen. Er lächelt, als hätte er gerade etwas Kluges gesagt.
    Sie sagen also, wir waren Kollegen?, frage ich.
    Ja.
    Wieso waren?
    Ich teste ihn, nicht nur, weil ich Informationen brauche, sondern weil ich wissen will, ob er die Wahrheit sagt. Ob er vertrauenswürdig ist. Er zögert kurz. Dann antwortet er.
    Du bist in Rente gegangen.
    Netter Euphemismus.
    Ja. Ich muss ihm zugutehalten, dass er ein bisschen zerknirscht wirkt. Tja, so hast du es jedenfalls genannt, als du gegangen bist. Du bist dir also über deine Krankheit im Klaren?
    An guten Tagen wie heute, ja. Dann weiß ich genau, wie tief ich gesunken bin.
    Erkennst du mein Gesicht wieder?
    Nein. Und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie langweilig es ist, das jeden Tag gefragt zu werden.
    Dann wirst du es von mir nicht mehr hören, meine alte Freundin.
    Das freut mich, Fremder. Also, warum sind Sie hier?
    Wieder wirkt er verlegen. Rutscht auf seinem Stuhl herum.
    Ich komme als … Emissär. Von Mark. Als ich ihn fragend anschaue, fügt er hinzu: Dein Sohn.
    Ich habe keinen Sohn.
    Ich weiß, dass du böse auf ihn bist. Aber ich möchte eine Lanze für ihn brechen.
    Sie verstehen das nicht. Ich habe keine Erinnerung an einen Sohn. Und ich bin nicht mehr bereit mitzuspielen. Früher habe ich das gemacht, wissen Sie. Habe genickt und so getan als ob. Aber das mache ich nicht mehr.
    Er schweigt.
    Also gut, gehen wir es hypothetisch an. Sagen wir, du hattest mal einen Sohn. Und nehmen wir an, er hat sich in eine unangenehme Situation gebracht. Hat ein paar Fehler gemacht. Und dich ausgenutzt.
    Ausgenutzt? Auf welche Weise?
    Er hat sich Geld von dir geliehen. Wiederholt. Um mehr gebeten. Hat sich auch an deine Freunde gewandt. Er hat dich sogar bestohlen. Deine Ikone zum Beispiel. Mit ihrem Verkauf hat er eine beträchtliche Summe erzielt.
    Ich würde sagen, der Teufel soll ihn holen.
    Ja. Aber nehmen wir an, er hat sich gebessert und möchte sich mit dir versöhnen.
    Dann würde ich wissen wollen, warum.
    Na ja, du bist seine Mutter. Reicht das nicht?
    Da ich ihn nicht kenne, weiß ich nicht, was für eine Rolle es für ihn spielt.
    Es ist einfach so, dass ihn die Situation quält. Und die Tatsache, dass er dich nicht erreichen kann. Entweder bist du wütend auf ihn, oder du erinnerst dich nicht an ihn. So oder so hat er seine Mutter verloren.
    Wie alt ist er?
    Vielleicht neunundzwanzig. Dreißig.
    Anders ausgedrückt– alt genug, um ohne Mutter zu überleben.
    Jetzt spricht die Frau aus dir, die nicht weiß, dass sie einen Sohn hat.
    Anders ausgedrückt, eine rational denkende Frau. Mir ist schon öfter aufgefallen, dass Leute mit Kindern dazu neigen, irrational zu handeln. Sie sind zu allem bereit, um ihre Brut zu

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