Ich darf nicht vergessen
trotzdem ans Herz. Fiona konnte Ana, unser Kindermädchen, die junge Frau, an der Mark so sehr hing, die wir alle ins Herz geschlossen hatten, nicht ausstehen. Fiona schrie immerzu nur nach mir, sie weinte, wenn ich aus dem Haus ging, und sie weinte, wenn ich zurückkam. Und so nahm ich sie widerstrebend an.
H eute Morgen ist jemand gekommen und hat Fotos mitgebracht. Schöne Farbfotos. Ich sitze im groÃen Raum und sehe sie mir an.
Eine Frau rückt näher, dann fängt sie an zu schreien. Einige Leute kommen dazu. Andere weichen zurück. Meine schönen, schönen Fotos. Auf einem ist zu sehen, wie ein Tumor in der Ellenbeuge herausgeschnitten wird. Auf einem anderen wird eine Hand wieder angenäht. Es juckt mich in den Fingern. Muskelgedächtnis. Im Gegensatz zu dem, was allgemein angenommen wird, fühlt das Messer sich nicht kalt an, fühlt sich Blut an Latexhandschuhen nicht warm an. Die Handschuhe trennen einen von der Wärme des menschlichen Körpers.
Von dem Moment an, als ich zum ersten Mal den Arm einer Leiche aufschnitt und die Sehnen, die Nerven, die Bänder und die Handwurzelknochen erblickte, war es um mich geschehen. Das Herz, die Lunge, die Speiseröhre waren nichts für michâ in diesen Sandkästen sollten die anderen spielen. Ich wollte die Hände, die Finger, die Körperteile, die uns mit den Dingen um uns herum verbinden.
D ie Gurte an meinen Beinen sind zu fest. Meine Arme kann ich zwei, drei Zentimeter weit bewegen. Meinen Kopf hin und her drehen. Eine Infusionsnadel steckt in meinem Arm. Ich habe einen bitteren, metallischen Geschmack im Mund.
Eine Frau sitzt an meinem Bett. Es ist dunkel. Durch die Jalousien fällt schwaches Licht auf ihre untere Gesichtshälfte. Sie hat einen Mund wie ein Zombie, mit dünnen Lippen und auf groteske Weise breit. Wenn sie ihn öffnete, könnte sie die Welt verschlucken. Was ist das. Sie nimmt meine Hand. Nein. Sie hebt sie hoch. Nein. Hilfe. Sie will mich beiÃen, aus mir heraussaugen, was mir noch vom Leben geblieben ist.
Hören Sie auf. Bitte, hören Sie auf. Die Pfleger werden kommen, wenn Sie nicht aufhören, sagt der Zombie.
Sie legt etwas in meine Hand und schlieÃt meine Finger darum.
Was ist das. Eine Reliquie. Hat man Ihnen das gegeben. Wie komme ich zu der Ehre.
Es ist eine Plastiktüte, in der sich eine kleine metallene, mit einer Gravur versehene Scheibe befindet. Ich kann die Ausbuchtungen ertasten. An einer langen Kette. Die Tüte fühlt sich kalt an. Ich schüttle den Kopf. Schüttle ihn immer weiter. Das tut gut.
Kennen Sie Ihren Namen?
Ich zerre an meinen Fesseln. Ich antworte nicht.
Dr. White. Jennifer. Wissen Sie, wo Sie sind?
Das weià ich, aber in Bildern. Nicht in Worten. Ich bin auf einer Veranda, sitze auf der obersten Stufe. Ein kühler Morgen Ende Oktober. Die Bäume sind golden. Auf der Veranda stehen lauter Kürbisse aufgereiht, die mit entsetzten Gesichtern in die Welt schauen. Ein Papa-Kürbis, ein Mama-Kürbis und ein Baby-Kürbis. Alle starren mit offenem Mund auf etwas Entsetzliches. Das war meine Idee.
Ich bin sechzehn. Ein junger Mann kommt. Ich bin bereit. Mein Kleid ist kurz, ein Hängerchen, mit einem gewagten geometrischen Muster in Rot und Blau. Meine Stiefel reichen mir bis knapp unter die Knie. Die Treppenstufe fühlt sich an meinen nackten Oberschenkeln rau an. These boots are made for walking. Er muss jeden Augenblick hier sein. Ich zittere vor Aufregung.
Dr. White?
Der junge Mann wird kommen. Ich werde geliebt.
Dr. White, das ist wichtig. Dieses Medaillon. Wir haben den Blutfleck darauf testen lassen. Es ist Blut der Gruppe AB . Amanda OâTooles Blutgruppe.
Wir werden Sie wegen vorsätzlichen Mordes anklagen. Man wird Sie psychologischen Tests unterziehen, Ihre Anwältin wird auf nicht schuldig plädieren wegen Schuldunfähigkeit, und das warâs dann. Aber mir gefällt das nicht. Weil ich es nicht verstehe. Und ich möchte es gern verstehen.
Amanda.
Richtig, Amanda. Warum ist sie gestorben?
Amanda. Sie wusste.
Was wusste sie?
Sie hat sich nie die Haare gefärbt. Hat sich nie geschminkt. Aber trotzdem war sie eitel.
Eitel? Inwiefern?
Eine Verführerin. Es ging nicht um Sex. Um Geheimnisse. Sie wusste alles. Ich habe nie rausgefunden, woher. Eine gefährliche Frau.
Ja, das verstehe ich. Wirklich. Möchten Sie einen Schluck Wasser? Hier, ich schenke Ihnen etwas ein â und
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