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Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Titel: Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Martinez in Cannes. Das 50 0-Quadratmeter -Apartment hat eine 20 0-Quadratmeter -Terrasse mit Blick über die Bucht von Cannes und die Estérel-Berge und verfügt neben einem Wohnzimmer, zwei Schlafzimmern, Speisezimmer auch über zwei Bäder mit Hammam, Whirlpool, Sauna und extra Ankleideraum. Der Preis pro Nacht: 45   000   Euro.
    Keine Frage, all diese Dinge müssen nicht sein. Kein Mensch braucht sie wirklich. Aber genau das macht die Faszination von Luxus aus   – man leistet ihn sich trotzdem. Warum das so ist, erklärt unter anderem der Diderot-Effekt, von dem Sie im nächsten Abschnitt lesen können.

DER DIDEROT-EFFEKT
    Warum wir Luxusprodukten verfallen
    Grant McCracken bezeichnet sich selbst als Kulturanthropologe. Seine Arbeiten versteht er als Forschung auf der Schnittstelle zwischen Ökonomie und Anthropologie. Der Kanadier mit markantemKinn und Glatze promovierte einst an der Universität von Chicago und unterrichtete später an der Harvard Business School sowie am renommierten MIT Laboratory for Branding Cultures in Cambridge, Massachusetts. 1988 veröffentlichte er das Buch ›Kultur und Konsum‹, in dem er der Frage nachging, warum Menschen kaufen, was sie kaufen. Bei seinen Recherchen stieß er auf einen schon etwas angejahrten Aufsatz des französischen Philosophen Denis Diderot. Der hatte seinerzeit im 18.   Jahrhundert von einem Freund einen Morgenmantel geschenkt bekommen: scharlachrot, luxuriös   – heute würden wir sagen: Haute Couture. Der Freund hatte es gut gemeint mit Diderot, doch im Endeffekt erwies sich die edle Gabe als verhängnisvoll. Denn sie zwang Diderot in eine kostspielige Konsumspirale.
    In seinem Essay aus dem Jahr 1772 mit dem schönen Titel ›Gründe, meinem alten Hausrock nachzutrauern‹ (Untertitel: Eine Warnung an alle, die mehr Geschmack als Geld haben) beschreibt der Denker Diderot die fatale Kettenreaktion, die die Klamotte auslöste: Zwar gefiel ihm der Rock beim Anblick seines Spiegelbildes außerordentlich, doch störten ihn plötzlich die Details in seinen vier Wänden im Hintergrund, die ihm vorher gar nicht aufgefallen waren. »Ich sehe aus wie ein reicher Tagedieb«, befand der Philosoph über das unstimmige Bild. Die Unbill lösten vor allem seine alten Möbel aus, die von der Zeit und Mode längst überholt waren; Nippes, der nicht zusammenpasste; Accessoires ohne Wert. Also ersetzte er die Einrichtungsgegenstände, einen um den anderen: Den simplen Holztisch tauschte er gegen einen kostbaren Schreibtisch aus, kaufte einen neuen Spiegel und gestaltete schließlich das ganze Zimmer neu. Kurzum: Diderot verhielt sich wie die Millionärsgattin im Klischee, die sich ein neues Sportcabriolet zulegt, weil das alte nicht mehr zum Nagellack passt. Eine ganze Zimmereinrichtung als passendes Ambiente für einen geschenkten Morgenrock   – das ist mal konsequent!
     
    Tanya Luhrmann, Anthropologin an der Stanford Universität, hat in Tiefeninterviews mit rund 200   Studenten festgestellt: Wer ein iPhone in die Finger bekommt, begreift es schon bald als Teil seiner Identität. So gaben drei Viertel der Befragten zu, das iPhone schon einmal mit ins Bett genommen zu haben und damit eingeschlafen zu sein. Rund jeder Vierte meinte, das Gerät fühle sich an wie eine Erweiterung des Gehirns, und fast jeder Zehnte bekannte, das Telefon gelegentlich zu streicheln. Suchtgefährdet fühlten sich bereits ganze 40   Prozent der Probanden, und einer fügte noch hinzu, der Verlust seines Handys käme ihm vor wie ein Todesfall in der Familie.
    Aber typisch für unsere Konsumgesellschaft, findet McCracken, der diesen Schneeball-Effekt auch als Diderot-Effekt bezeichnet. Demnach wählen wir Dinge ganz häufig danach aus, dass sie »ein sinnvolles Ganzes« ergeben. Es beginnt mit einer hochwertigen Couchgarnitur. Schon sieht der Rest des Wohnzimmers aus, als hätten die Siebzigerjahre vergessen, ihren Plunder mitzunehmen. Also müssen auch noch neue Regale, neue Bilder, neue Tische und Tapeten her. Genauso im Kleiderschrank: Erst kaufen wir aus einer Laune heraus das schicke Designerschnäppchen, doch dann folgt der Schreck: »Ich habe ja gar nichts, was ich dazu anziehen könnte!« So geht das immer und überall: Wer A bestellt, muss auch B kaufen. Das Jackett zum Job, die Prada-Tasche zur Party, den Champagner zum Cabriolet. So manche Kaufräusche lassen sich mit dem Diderot-Effekt erklären. Aber nicht nur die.
    Das Ganze funktioniert auch andersherum, wie McCracken

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